CD Kritik Progressive Newsletter Nr.39 (03/2002)
Art Reaktor - Our past is our present
(74:35, Periferic Records, 2000)
Die Gruppe Art Reaktor formierte sich 1987 um den ungarischen Künstler József Szurcsik, um dessen eigenwilliges Konzept musikalisch umzusetzen. Bekanntestes Mitglied ist sicherlich János Varga (ex. East), der zu dem Projekt die Gitarre beisteuert. Neben Varga und Szurcsik (Harmonika, v) gehören Duncan Shiels (v), Gábor Németh (d) und Miklós Máká (Trompete, v) zu Art Reaktor. "Our past is our present" ist ein Konzeptwerk über das Verhältnis von Autorität und Menschlichkeit, das live unter Zuhilfenahme von Videoprojektionen, Masken und Kostümen sowie Theatercollagen umgesetzt wurde. Die Bilder im Booklet zeigen dies eindrucksvoll. Erwartungsfroh verschwindet die runde Scheibe also im CD-Player, es folgt ein verstörter Blick, dann wird das Ding wieder rausgeholt um zu schauen, ob da nicht aus Versehen was völlig anderes eingelegt wurde. Schließlich kommen aus Ungarn so geniale Sachen wie After Crying, Solaris oder auch You and I. Aber nein, auf der CD steht dick und fett Art Reaktor drauf, also wieder rein damit, schließlich ist man modern und aufgeschlossen und wer wird schon nach zwei Minuten das Handtuch werfen. Uns so beginnt eine über 70-minütige Tortur, und wäre nicht für dieses Review, es wäre auch bei dem einen Versuch geblieben. Überraschend ist gleich der Anfang. Der Opener "White hot steel" fällt durch den nicht erwarteten Sprechgesang und die sparsame Instrumentierung auf. Na ja, denkt man, Opener sind immer etwas besonderes, aber spätestens bei dem nachfolgenden Stück "Laboratory" hört der Spaß dann auf, der eintönige Rap (!) strapaziert meine Nerven. Und so geht es munter weiter, fast ausschließlich Sprechgesang, sehr sparsame Kompositionen ohne Breaks und Wendungen und wo ist vor allem die Gitarre von János Varga? Ich würde den Stil der Musik als düstere "Industrial-Music" bezeichnen, und auch wenn es zuletzt immer wieder erfolgreiche Versuche von Gruppen gegeben hat, die Grenzen des Progressive Rock noch weiter nach außen zu schieben, so ist nicht jeder dieser mutigen Versuche automatisch ein Geniestreich. "Our past is our present" wirkt als Live-Erlebnis bestimmt sehr eindringlich und ein Konzert würde ich auch besuchen, aber die Musik alleine auf CD gebrannt ist langweilig. Wie zur Bestätigung wird die CD im letzten Drittel plötzlich interessanter und abwechselungsreicher, und ein Blick ins Booklet verrät auch den Grund: dieser Teil wurde live eingespielt. In "Sudden voices" wird der Hörer sogar durch ein langes, gewollt disharmonisches Gitarrensolo erlöst (das einzig nennenswerte auf "Our past is our present"!). Schade eigentlich, aber vielleicht schlummert ja in den Archiven noch eine komplette Live-Aufnahme, oder besser noch, ein Video.
Meinhard Foethke
© Progressive Newsletter 2002