CD Kritik Progressive Newsletter Nr.39 (03/2002)
John Paul Jones - The thunderthief
(46:35, Discipline Global Mobile, 2001)
Wow! Es fällt mir wirklich schwer dieses grandiose Album in Worte zu fassen. Während die Herren Plant und Page eher fürs Altenteil vorsorgen, zeigt ihr ehemaliger Led Zeppelin Mitstreiter, welch innovativen und kreativen Energien immer noch in ihm fließen. "The thunderthief" ist auf wahnwitzige Weise unglaublich groovig und richtig gut rockig, gleichzeitig jedoch auch wunderbar schräg und nervös. Auf dieses Album passt einfach perfekt das zu, was John Paul Jones einmal in einem Interview über die Platten von Led Zeppelin sagte: "Es geht nicht darum, die Erwartungen der Fans mit jedem Stück aufs neue zu bestätigen. Es geht darum, sie mit jedem neuen Stück aufs neue zu überraschen." Und genau dies ist auch der Hauptgrund dafür, warum dieses sehr abwechslungsreiche, musikalisch sehr vielschichtig gestaltete Album, so umwerfend gigantisch klingt und wirkt. Jones, der neben allen möglichen 4- bis 12-saitigen Instrumenten quer durch die ganzen Welt (z.B. Mandoline, Ukulele, Steel Guitar), auch noch bei Piano, Orgel, Synthesizer fachgerecht in die Tasten greift, hat sich zur Unterstützung ebenfalls namhafte Mitstreiter ins Studio geholt. Robert Fripp fährt beim Opener "Leafs meadows" ein Solo auf, dass zwischen deftigen Southern Rock und freakigem Herumgefrippe wirklich alles bietet, was King Crimsons Querdenker in den Fingern hat. Nick Beggs (ex-Kajagoogoo, ex-Iona), als einer der derzeit besten Chapman Stick Spieler, verleiht zwei Songs den rechten Groove, während sein ehemaliger Bandkollege und gefragter Sessionsmusiker Terl Bryant versiert die Felle bearbeitet. Zudem verfeinert der Metalgitarrist Adam Bomb den bezeichnenden Titel "Angry angry" mit einem aggressiven Solo. Eine weitere Überraschung, neben der stilistischen Bandbreite, sind die erstmals bei einigen Titeln zu Gehör gebrachten Vokalkünste von John Paul Jones, der zwar nicht unbedingt mit eindringlicher, aber dafür sehr zu den jeweiligen Songs passender Stimmlage, die jeweilig beabsichtige Stimmung bestens unterstreicht. Wie schon weiter oben angesprochen, kennt "The thunderthief" fast keine Genregrenzen. Da steht groovig-nervöses Spiel, wie beim Titelsong, punkig rotzige Wavenummern ("Angry, angry"), Abgedrehtes mit deutlichen Prog Anleihen ("Shibuya bop"), neben fragilen, traumhaft schönen Balladen ("Ice fishing at night") oder wunderbarem Folkrock ("Down to the river to pray"). Dieses Album steckt voll Überraschungen und eigenartiger Wendungen, wobei neben dem kernigen virtuosen Rhythmus, die immer wieder neu aufblitzende melodische Eleganz, aber auch prägnante Soli für absolut magischen Momente sorgen. John Paul Jones ist mit "The thunderthief" ein alle musikalischen Grenzen niederreißendes Album gelungen, dass trotz oder vielleicht gerade wegen seiner ständigen Stilbrüche, immer wieder aufs neue begeistert. Wo hat dieser Mann in all den Jahren nur seine Kreativität versteckt? Mehr davon!
Kristian Selm
Nicht so schnell, Hauser! Meiner einer hat da eine etwas andere Meinung, die wir dem geschätzten Leser auf keinen Fall vorenthalten sollten, denn ihre Laudatio könnte zum blinden Kauf ermutigen, und das wäre bei solch einem zweifelhaften Werk wie dem vorliegenden fatal, Herr Oberschmierfink. Meiner Meinung nach handelt es sich bei "The thunderthief" um ein enttäuschendes, höchstens durchschnittliches Werk, das typische Output eines ehemaligen Band-Olympioniken. Erster Kritikpunkt: Der Sound. Ja, aber Hallo! Herr Jones! Wir wissen ja alle, dass sie dereinst als der weltgrößte Basser seit, sagen wir mal Jack Bruce gehandelt wurden - aber warum muss denn bitteschön das ganze Album danach klingen, als sei es durch eine Bassmonitorbox aufgenommen? Transparenz? Null - stattdessen ist der Sound seltsam komprimiert, dass man sich verzweifelt nach den schicken Equalizern aus den 80ern sehnt, mit denen man solche Produktionsschwächen ausbalancieren konnte. Zweiter Kritikpunkt: Der Gesang. Es wird wohl einen Grund gehabt haben, dass John Paul Jones bis dato seine Stimmebänder der Rockwelt vorenthalten hat - und wenn ich mir so peinliche Darbietungen wie "Angry, angry" anhöre, dann würde ich mir wünschen, er hätte sein Gelübde nicht gebrochen, denn das, was in den Ohren meines geschätzten Vorredners durchaus Anerkennung findet, lässt mich stellenweise vor Peinlichkeit erröten. Geradezu peinlich die post-Punk-Attitüde in eben "Angry, angry", dessen nasaler Gesang eher nach einem Ian Dury Imitatoren Wettbewerb entliehen scheint, denn einer ernsthaften Darbietung. Vom Text ("Böse, böse") will ich lieber gar nicht erst anfangen, da sind Prog- Hörer noch ganz andere Peinlichkeiten gewohnt. Dritter Kritikpunkt: Die Kompositionen. Was Meister Selm als "ein alle musikalischen Grenzen niederreißendes Album" lobt, scheint mir eine mehr oder minder sinnlose Aneinanderreihung unausgegorener Ideen, die den Hörer vielleicht überraschen, nicht aber überzeugen können. Jones erzeugt nur dann magische Momente, wenn er stimmungsmäßig in die gute, alte Led Zep- Kiste greift, etwa in "Ice fishing at night" (klingt ein wenig wie "Thank you!" - sogar der Gesang erinnert ein wenig an einen heiseren Robert Plant) oder im Instrumental "Down by the river to pray", kann er Punkte machen. Ansonsten klingt mir das Album entschieden zu unausgegoren und groovig, tja, groovig finde ich das alles auch nicht so wirklich. Wäre das Album Mitte der 70er erschienen, hätte Jones sich als Visionär erwiesen, heuer ist das eine wüste Mixtur aus obskuren Zutaten, die nicht viel verbindet, außer einer gewissen Rohheit. Den Freunden des bleiernen Zeppelins kann ich das Album nicht ans Herz legen, auch die Freunde der sonst so exquisiten DGM- Releases dürften mit dem Album so ihre Mühe haben.
Sal Pichireddu
© Progressive Newsletter 2002