CD Kritik Progressive Newsletter Nr.39 (03/2002)
Giles Giles Fripp - The Brondesbury Tapes
(72:30, Voiceprint, 2001 / rec. 1968)
Vorbei die Tage, da die Fans nur von Archiv- Veröffentlichungen träumen konnten. Heute wird, aus welchen Gründen auch immer, Material veröffentlicht, dass ursprünglich nicht dazu gedacht war. Ob das nun der historischen Dokumentation oder der monetären Bereicherung dient, sei einmal dahin gestellt - vorliegende Aufnahmen dienen nun wirklich nur sehr schlecht zur kommerziellen Ausschlachtung, doch sie dienen ganz vorzüglich der Dokumentation einer Band, die zum Zeitpunkt dieser Aufnahmen (noch) gar nicht existierte. "The Brondesbury Tapes" schließt die Lücke zwischen der glücklosen "Cheerful insanity of Giles, Giles & Fripp" und Crimsos Debüt "In the court of the Crimson King" und liegt musikalisch (nicht historisch!) genau zwischen diesen beiden Alben. Es wird deutlich, wie sehr der Sound des King Crimson Debüt von einer Person abhing: Ian McDonald. Sobald er mit von der Partie ist, klingt das schon alles ein wenig crimsonesque (auch wenn der charakteristische Gesang von Greg Lake fehlt). Freilich darf man bei diesen Aufnahmen nicht vergessen, dass es sich um Demo-Aufnahmen handelt: Die manchmal noch amateurhaften Mehrspuraufnahmen klingen alles andere als ausgereift. Dennoch kann man ihnen einen gewissen Charme nicht absprechen. Für Crimsologen besonders interessant sind die vorliegenden Aufnahmen von "I talk to the wind", einmal mit MacDonald an den Lead Vocals, einmal mit Judy Dyble (Ex- Fairport Convention), letztere Aufnahme erschien bereits 1975 auf "The young persons' guide to King Crimson", seinerzeit freilich auf Vinyl. Richtig bezaubernd ist auch "Under the sky" (in zwei Versionen, mit und ohne den Drums von Michael Giles), eine MacDonald / Sinfield Komposition mit ruhigem Tempo und dem damals üblichen Folk- Timbre, wahrscheinlich auch wegen Dybles Gesang. Fripps Gitarre klingt hier zum ersten Mal nach Fripp, vor allem in der zweiten Version (mit Drums). "Passages of time", eine Fripp- Komposition hätte mit seinem Bolero-haftem Rhythmus auch auf "Lizard" oder auf "In the wake of Poseidon" eingespielt werden können und wahrhaftig, die Bridge im Song beinhaltet die Bridge aus "Peace", mit anderem Text (den von "Peace" schrieb ja Sinfield). Eine weitere Komposition klingt schon sehr nach Crimson, nämlich "Erudite eyes", wiederum aus Fripps Feder, enthält es doch schon große Teile (inklusive der freieren Improvisationen) des Court-Sounds, technisch leider nicht so gut aufgenommen, aber zum ersten Mal kann man erahnen, dass der "Engel", der durch das Studio zog, als "In the court" eingespielt wurde, keineswegs künstlerischer Zufall als Resultat von Genies war, sondern das Ende einer Entwicklung, die 1968 mit den Kelleraufnahmen aus Brondesbury begann. Ein Wort noch zu den zeitgleich entstandenen "professionellen" Studioaufnahmen zu "The cheerful insanity of Giles, Giles & Fripp", auf der man freilich eine Reihe der Kompositionen von den "Brondesbury Tapes" wiederfindet - sie klingen insgesamt viel mehr nach Sixties, als man dies von den Rohfassungen auf dem vorliegenden Album sagen kann, waren vielleicht also gar nicht so intendiert. Auf jeden Fall scheint der Fall der seltsam unreifen "Cheerful insanity" in einem ganz neuen Licht: Wie viel Anteil hat der Producer Wayne Bickerton (nie gehört!) am "unechten" Sound des Albums? War er es, der den Musikern dieses seltsame, wirre Image verpassen wollte? Man stelle sich das einmal vor, Robert Fripp (damals noch Bobby, hehe) als Scherzkanone... "Erudite eyes" klingt auf jeden Fall seltsam geglättet, Fripps und Michael Giles Spiel gezähmt, ebenso "Under the sky". Trotz unüberhörbarer Schwächen in der Aufnahmetechnik scheint mir "The Brondesbury Tapes" die authentischeren Giles, Giles & Fripp zu präsentieren - wenn man sich ein Album von dieser Band besorgen möchte, dann scheint mir diese Demo- Sammlung allemal sinnvoller als das Flop- Album "The cheerful insanity".
Sal Pichireddu
© Progressive Newsletter 2002