CD Kritik Progressive Newsletter Nr.38 (01/2002)

Artsruni - The live cuts
(54:52, Cadence Music Centre, 2001)

Juchuu! Endlich mal wieder ein neues Land auf der progressiven Weltkarte, die sich außer Afrika (Ausnahme Südafrika) immer mehr mit Inhalt und Bands aus aller Herren Länder füllt. Artsruni stammen aus Armenien und mit ihrem ausschließlich aus Liveaufnahmen bestehenden Album "The live cuts" präsentieren sie sich sowohl als stilistisch sehr vielfältig, als auch musikalisch sehr ausgebufft, sprich hier sind richtige Könner am Werkeln. Die erst letztes Jahr gegründete Band Artsruni ist das musikalische Vehikel des armenischen Sängers, Gitarristen und Poeten Vahan Artsruni, der aber musikalisch bereits seit Mitte der 80er aktiv ist. Seit damals widmete er sich so unterschiedlichen Stilen wie mittelalterliche Musik, sinfonischer Rockmusik mit klassischem Orchester und kammermusikalischen Ethnoklängen, seine eigentliche Passion gehört aber dem Art Rock in all seinen Schattierungen. Zum aktuellen Line-Up seiner Band gehören neben ihm, Vahagn Amirkhanyan (Gitarre), Arman Manukyan (Flöte), Artour Molitvin (Bass), Levon Ahkverdyan (Schlagzeug), sowie Lilian Akhverdyan (Percussion). Die ersten fünf, rein instrumentalen Titel, sind vom wunderbaren Neben- und Miteinander vor allem von Flöte und Gitarre bestimmt. Unweigerlich sorgt die Flöte für folkloristische Eleganz, während die Gitarre, mal akustisch verspielt, mal druckvoll elektrisch verstärkt, dazu den melodischen Gegenpol setzt. Die Rhythmustruppe treibt die zwischen 4 bis 7 Minuten langen Kompositionen gekonnt voran, wobei der Bass - virtuos oder in Slaptechnik gespielt - mehr ist, als nur schmückendes Beiwerk. Im Zusammenspiel entsteht so eine wunderbare Verquickung von Folk, Jazz Rock und progressiver Rockmusik. Ruhige, fast schon klassisch inspirierte Passagen stehen im Wettstreit mit schwungvollem Rock. Unterschwellig klingt in den Instrumentalwerken zudem die Exotik der Folklore von Armenien durch. Mit den Titeln 6, 7 und 10 ("Yes Em", "Patranq", "Salahatak") folgt das musikalische Kontrastprogramm. Unterstützt vom klassischen Artsruni Orchestra sind "Yes Em" und "Salahatak" melancholische, fragile Balladen, voller Traurigkeit und Sanftheit, bei der Vahan Artsruni mit samtener Stimme den Hörer umschmeichelt. Das etwas mittelalterlich wirkende "Patranq" hingegen wird fast komplett von klassischen Streichinstrumenten dominiert - ein dramatischer, leicht orientalisch angehauchter Titel. "Call of the wind" und "Ethnophonica (Suite, Part III)" zeigen wiederum eine ganz andere Facette des armenischen Künstlers. Zusammen mit dem armenischen Nationalorchester und der Sopranistin Anna Mayllyan hat die Musik logischerweise einen deutlich orchestralen, bombastischen Touch, aber auch hier fließen wieder landestypische Elemente ein. Leider wurden beide Titel direkt als Bootleg aus dem Auditorium mitgeschnitten, wodurch die Soundqualität leider etwas getrübt ist. Nicht nur aufgrund seiner zweifelsohne exotischen Herkunft eröffnet Vahan Artsruni dem Hörer ganz neue Eindrücke, die zugleich bekannt, aber auch fremdartig klingen. Keineswegs bahnbrechend, aber dennoch irgendwie unheimlich schön und leicht melancholisch. Bleibt zu hoffen, dass sich für die zugegebenermaßen nicht gerade massentaugliche, aber doch sehr interessante Musik von Artsruni auch in unseren Breiten einen Vertrieb findet.

Kristian Selm



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