CD Kritik Progressive Newsletter Nr.37 (11/2001)
Potemkine - Foetus / Triton / Nicolas II
(66:30 + 57:52, Soleil Zeuhl, 1976/77/78)
Die Brüder Charles (g, p, voc) und Gilles Goubin (b) gründeten 1971 in Toulouse, Frankreich eine Band. Sie spielten Covers von Deep Purple, der Rolling Stones und ähnliches. 1973 änderte sich die musikalische Orientierung zum Jazzrock, wie er vom Mahavishnu Orchestra oder Wheater Report gespielt wurde. Sie nannten sich Potemkine. Schon 1974 nahmen sie ihre erste Single auf (als Bonustracks auf "Triton"). Der dritte Bruder Michel (p, voc) kam in die Band. Dazu Maurice Bataille (dr) und Xavier Vidal (vi). Nachdem im Oktober 1975 der vierte Bruder Phillipe (dr, perc, p) Potemkine vervollständigte, wurde das erste Album "Foetus" veröffentlicht. Die neun Songs sind sämtlichst kraftvoller, ungemein spannender und virtuoser Jazzrock. Das Rhythmusgerüst Schlagzeug/Bass flicht einen dichten, stark rockbetonten Grund, auf dem fließende, abstrakte Jazzmelodien mal schlicht und unbekümmert, mal wild und ungezügelt, mal komplex und detailversessen beseelte Intensität in perfekter Präzision und absolut überzeugender Balance von Dynamik und Klang darbieten. Dabei beherrschen Violine und Keyboards häufig das Geschehen, während die wenigen Momente der ausladenden Gitarrenarbeit auf emotionale Präferenz setzen. Ungezügelte, eindringliche Virtuosität greift in die kompakten Arrangements ein und verführt die Musiker zu Improvisationen, wie sie in diesem Ausdruck, in dieser Schönheit und Logik selten sind. Das zweite Album "Triton" wurde im Trio (Charles und Philippe Goubin und Doudou Dubuisson) eingespielt. Potemkine orientierten sich dabei auf eine Mischung aus Jazzrock und Musik des frühen 20. Jahrhunderts wie Edgar Varese, Eric Satie und Claude Debussy. Die 5 Songs sind schwerer nachvollziehbar, die anspruchsvolle Struktur der Kompositionen und die klassisch geprägten Melodien greifen während der Improvisationen weit in den Jazz, während die Songführung gewollt starre und ernsthaft Motive intoniert. Obwohl die klassischen Anleihen den Charakter der Stücke bestimmen, entwirft der hohe Jazzanteil auf dem kraftvollen Schlagzeug/Bass Gerüst typisch "fehlerhafte", disharmonische und rhythmusbetonte Ausführungen, die mit intensiver Spannung die vielen Sprünge, rhythmischen Wechsel und strengen Noten zu einem fließenden Ganzen verbinden. Vor allem das Schlagzeug mit seinem eigenwilligen, perfekten Klang im komplexen Spiel im Zusammenspiel mit dem melodiebetonten und oft führenden Bass ist ein echter "Hinhörer". Potemkine eröffneten über 100 Gigs für Magma, live wurde "Triton" rock-orientierter gespielt mit ausufernden Improvisationen. Im Januar 1978 setzten Potemkine in den 7 Songs von "Nicolas II" ihre stärkere Rockbetonung durch. Michel Goubin war wieder zum Trio gestoßen. Härtere Intonierung bestimmt die Songs, während in den leisen, stillen Momenten die größte Spannung aufgebaut wird, um sie explosionsartig zu entladen. Die Intention der Band, die Hingabe an die Musik und das technische, kompositorische und interpretatorische Vermögen waren unschlagbar. Für John McLaughlinïs Shakti eröffneten Potemkine im August 1978. Sie tourten erfolgreich bis 1979, als Charles Goubin nach einem Autounfall starb. Vor 8000 Zuhörern wurde in Bilbao ein Memorial Konzert für Charles gespielt, mit Pierre Benichou an der Gitarre und Gilles Goubin am Cello. Bis 1982 existierte die Band, ohne weitere Aufnahmen zu machen. Die 3 Alben sind nun auf zwei CDs wieder veröffentlicht worden, digital remastered, mit Fotos und der Bandgeschichte im Booklet. Diese wundervolle Musik muss ich jedem Jazz/Jazzrock-Fan ans Herz legen, so intensiv, spannend und reichhaltig war nur der beste Jazzrock.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2001