CD Kritik Progressive Newsletter Nr.37 (11/2001)
Crucis - Crucis
(35:07, RCA Argentina, 1976)
Crucis - Los Delirios del Mariscal
(34:31, RCA Argentina, 1976)
Würde man die Frage nach den wichtigsten südamerikanischen Veröffentlichungen aus dem Progressive Rock-Bereich stellen, so würden wahrscheinlich die zwei Alben der argentinischen Band Crucis ziemlich weit oben in der Liste auftauchen. Da beide inzwischen zusammen auf CD unter dem Titel "Cronología" wiederveröffentlicht sind, lohnt sich eine genauere Vorstellung. Das unbetitelte Debütalbum von Crucis wurde 1976 veröffentlicht. Zuvor hatten Gustavo Montesano (Vocals, Bass), Pino Marrone (Gitarre), Gonzalo Farrugia (Drums) und Anibal Kerpel (Keyboards) bereits seit Ihrer Gründung im Jahr 1974 zahlreiche Konzerte in Argentinien gespielt. Das Album mit einer Länge von nur 37 Minuten enthält ganze 7 Stücke, wovon dann auch keines eine Länge über 7 Minuten aufweist. Der Opener "Todo el tiempo posible" rockt auch gleich relativ straight los, es klingt zunächst wie kerniger 70er-Jahre Hardrock, was da aus den Boxen kommt. Umso erstaunter ist man dann auch über den plötzlichen Break und den sich anschließenden wunderschönen, komplexen Instrumentalteil. Gerade dann, wenn es am schönsten ist, bricht das Stück einfach ab und so geschieht es dann auch regelmäßig bei den folgenden Titeln. Der (angenehme) Gesang in Spanisch taucht übrigens nur in vier Stücken auf, der Rest ist rein instrumental und lässt sehr hohes Potenzial erahnen. Ich gebe zu, dass dieses Album bei mir beim ersten Hören noch keinen besonderen Eindruck hinterlassen hat, häufiges Hören hat mich aber die vielen versteckten Facetten der Musik erkennen lassen. Man hat das Gefühl eine musikalische hervorragende Band kennen gelernt zu haben, die allerdings noch mit nicht losgelassener Handbremse zu Werke geht. Ganz andere Eindrücke hinterlässt das zweite Album "Los delirios del mariscal". Die schon auf der ersten Veröffentlichung vorhandenen Ansätze entfalten sich zu einem starken Album, welches ohne Übertreibung zu den besten Veröffentlichungen symphonischer Rockmusik der 70er Jahre gezählt werden kann. Die Dramatik und zur Schau gestellter Pathos und Theatralik erinnern stark an die italienische Szene, Einflüsse von Banco oder auch PFM sind deutlich auszumachen. Allerdings fehlt es Crucis an der Leichtigkeit und Unbeschwertheit der Vertreter aus Italien. Eine ganze Ecke härter geht es schon zur Sache. Es sind auf "Los delirios del mariscal" nur vier Stücke, leider ist bei knapp 35 Minuten dann auch schon die CD zu Ende. Diese vier Stücke geben jedoch ein Beispiel für echte Kompositionskunst: Musikalische Themen werden vorgestellt und variiert, immer wieder brechen Gitarre und Keyboards aus diesem Gefüge aus, um dann sicher den Roten Faden wieder aufzunehmen. Einzig das Schlagzeugsolo mitten im mit über 12 Minuten längsten Stück "Abismo terrenal" wirkt deplaziert. Wer sich für die lateinamerikanische Variante des Progressive Rock ernsthaft interessiert, wird zumindest an dem Zweitwerk der Band "Los delirios del mariscal" nicht vorbeikommen, denn es handelt sich um eines der wegweisenden Werke aus der Region. Viele der nachfolgenden Gruppen aus der südamerikanischen Szene, speziell argentinische, wurden hierdurch beeinflusst. Oder man legt sich dieses Album deshalb zu, weil es sich einfach um klasse 70er Jahr Symphonic-Rock handelt.
Meinhard Foethke
© Progressive Newsletter 2001