CD Kritik Progressive Newsletter Nr.34 (02/2001)
Scythe - Divorced land
(73:55, Galileo, 2001)
Ich gebe zu, ich habe das Erscheinen dieses Albums herbeigesehnt, denn ich gehörte zu den wenigen, die die Entstehung dieses Albums ein wenig mitverfolgen konnten. Von den Anfängen des selbstproduzierten Demo "Each other" über ihre Auftritte auf der ProgParade No. 1 und vor knapp zwei Monaten auf der PP2 in Darmstadt war ich der Band freundschaftlich, aber nicht unkritisch verbunden, denn eines sei vorneweg gesagt - das immense Potential, dass Scythe auf "Divorced land" offenbart, konnte man in dieser Form nur erahnen. Freilich bleibt die Frage, wie neutral ein solches Urteil sein kann... nun, die Antwort liegt nahe - sie ist ganz einfach genauso subjektiv wie alle anderen Reviews, die der Unterzeichnende bisher verfasst hat. Sie wird durch dieselben subjektiven Kriterien bestimmt, die auch an alle anderen Veröffentlichungen gelegt wurden: Kreativität, Innovation, Integrität, Talent, Leidenschaft - Kriterien also, die alles andere als ein objektives Bild entwerfen können (ja sollen): Musik zu besprechen bedeutet eben einen subjektiven Eindruck in Worte zu fassen, das Erlebnis Musik für andere greifbar, lesbar zu machen, zumindest ist es ein solcher Versuch. Jeder Kritiker, der sich anmaßt rein "objektive" Kriterien anzulegen, ist ein Lügner oder ein Spinner. Doch will ich hier nicht über mein Credo als Rezensent philosophieren, ich möchte dem geneigten Leser eine Scheibe ganz besonders ans Herz legen, nicht irgendeine, ich möchte ihm "Divorced land" empfehlen, weil ich fest davon überzeugt bin, dass dies eines der besten deutschen Debüts ist, die ich jemals gehört habe. Es gibt Augenblicke in diesem Album, da wurde ich regelrecht ergriffen von der Musik, die mir so vertraut und dann doch in dieser Dichte so neu war. Die Sensenmänner haben sich Zeit gelassen, die Ideen ihrer Songs für dieses Album umzusetzen (in eine endgültige Form sozusagen), vielleicht ist "Divorced land" deshalb ein so besonders ausgereiftes Album. Hier hat sich jemand wirklich Gedanken gemacht über die Struktur und Umsetzung eines Albums - ein schwieriges Unterfangen, dass sicherlich viele Debütanten beherzigen wollen, doch nur selten so überzeugend umsetzen wie Scythe es hier getan hat. Das Intro, pardon das "Outro - A striving after wind" beginnt leise und steigert sich dann kontinuierlich zum fulminanten Ende hin... und doch ist es nur der Anfang einer furiosen Tour-de-force musikalischer Art. Es folgt schon der erste Höhepunkt, "Am I really here?", jene seltsam brüchige (und eigentlich zu unruhige) Ballade, die Thomas Thielen hier so schön hoffnungslos melancholisch intoniert. Überhaupt hat der Sänger und Gitarrist der Scythies mächtig zugelegt, was seine stimmlichen Fähigkeiten, v.a. aber sein Ausdrucksvermögen, sein Charisma (wenn man es so nennen will) anbelangt. Für mich gehört er zu den wenigen wirklich leidenschaftlichen Sängern Deutschlands: seine Stimme haucht, sie klagt, sie weint, sie schreit, sie erzählt - sie ist seine Stimme, Ausdruck seiner ganz persönlichen Empfindungen. Nach dem Bass/Drums - Instrumental "Faded" folgt mit "One step further" der zweite Longtrack des Albums - einem weiterem Höhepunkt, wie praktisch alle Songs Scythes clever komponiert und dramaturgisch regelrecht inszeniert. Zerrissen, nervös (nicht nervend) und mit der vorzüglicher Drumarbeit Martin Walters folgt "The weight of the wind", danach das instrumentale "Access" als Interludio - und hier, wie über allem schweben die tausend Klänge des Tastenmanns Udo Gerhards, dessen musikalischer Beitrag zu diesem Album nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Interessant und clever ist auch die Verwebung der Songs untereinander, quasi Selbstzitate, die Themen der Instrumentals tauchen in der einen oder anderen Form in den Vocaltracks auf. Mit "Discussed" folgt eine weitere für diese Band typische Komposition - in der (wie habe ich es oben beschrieben?) Dramaturgie den Songs wie "One step further" oder "Am I really here?" nicht unähnlich. Nach dem letzten kurzem Instrumental, dem fast Oldfield'schem "Naivety", folgt das mit Abstand ungewöhnlichste Stück des Albums "Run" (auch hier hör sich einer diesen Drummer an!!): Jazzig, kantig, kühl dann wieder leidenschaftlich, eine Art musikalische Paranoia. Dann aber kommt mit dem letzten Track der wirklich absolute Höhepunkt des Albums mit dem Song "Denied", ein Stück, bei dem ich jetzt schon (ohne auf die Einwirkung der Zeit zu warten) sagen möchte, dass es ein absoluter Klassiker ist, fernab von aufgeblasenen Pseudo-Longtracks, die heuer so zahlreich im Genre zu finden sind. Jede Sekunde dieses Stücks ist echt, lebendig, authentisch, superb. Wenn es auch Kritiker geben werden, die genügend zu Mäkeln haben werden, so werden sich wohl die wenigsten der Magie dieses Song erwehren können. Fazit: Für mich das erste absolute Highlight des Jahres aus deutschen Landen.
Sal Pichireddu
© Progressive Newsletter 2001