CD Kritik Progressive Newsletter Nr.34 (02/2001)
Nathan Mahl - Heretik Volume I
(59:16, Mahl Productions, 2000)
Manchmal muss man eben im Leben Präferenzen setzen. Eigentlich sollte ja "Heretik Volume I" bereits viel früher erscheinen, doch da Guy LeBlanc bekanntlich mit Camel auf Tour ging, musste seine eigene Band hinten anstehen. Doch das Warten hat sich gelohnt, denn "Heretik Volume I" (weitere Teile sind als Fortsetzung für die Zukunft in Planung) bietet mit seinem breiten Spektrum zwischen Progressive Rock, sinfonischer Rockmusik, Jazz Rock, Folk, Klassik und kernigem Bluesrock einiges für's Ohr. Los geht's mit dem kurzen, mehr als Intro zu betrachtenden "When all was well". Federleichte klassische Momente, durchsetzt von sanften Flötentönen - ein schöner Beginn. Doch mit "Heretik Part 1" folgt dann sogleich der Longsonghammer des Albums. Auf über 21 Minuten gibt es virtuose Keyboardläufe ohne Ende, sinfonischen Art Rock der allerbesten Sorte - vielerlei verschiedene Sounds sorgen für Abwechslung, aber ebenso dient eine griffige Gitarre und eine gut geölte Rhythmusmaschine als ausgleichender Gegenpol. Dennoch erweckt dieser Track beim ersten Hören mehr den Eindruck, als dass hier geschickt um verschiedene Soli ein Song herumgebastelt wurde, manches wirkt etwas zu zerfahren, ohne erkennbare innere Struktur. Doch wie so oft bei guter Musik, muss dieses Stück Musik erst wachsen. Nach mehrmaligem Hören schält sich dann doch ein innerer Zusammenhalt auf, selbst die kurze Gesangspassage, die irgendwie an Peter Hammill erinnert, fügt sich mit ihrer dunklen Stimmung doch passend ins Gesamtwerk ein. Nach dem mehr rockigen, kürzeren "Heretik Part II", folgt mit "Crimen excepta" ein zwar ebenfalls kurzes, aber relativ komplexes Instrumentalstück. Ein echter Ohrenschmaus, bei dem die Band sogar stellenweise etwas Jazz Rock und ELP Inspiration einfließen lässt und Gitarren und Keyboards brillant harmonieren. Bei "Heretik Part III" heult auf zehn Minuten die Hammond, die Synthieakkorde perlen, allerdings sorgen die Gesangsparts für kleiner Abzüge, die aber durch die ausgiebigen Instrumentalteile mehr als ausgeglichen werden. Dass das Album abschließende, über 15 Minuten lange "Carpe diem" beginnt verhalten, um sich später wieder in gewohnt beeindruckender Manier zu steigern. Es sind vor allem zwei Aspekte, die dieses Album auch deutlich aus dem Durchschnitt herausheben: LeBlanc ist nicht nur ein begnadeter Keyboarder, er versteht es auch gute bis sehr gute Songs zu schreiben, die nicht nur auf seine solistischen Eskapaden zugeschnitten sind. Des weiteren verfügt er über drei Mitmusiker an Bass, Gitarre und Schlagzeug, die keineswegs zu Statisten degradiert werden, sondern gleichberechtigt agieren. Einziger Schwachpunkt ist der Gesang, der an manchen Stellen etwas zu flach und mit zu viel Hall versehen wird, andererseits auch sehr ausdrucksstark den Liedern Tiefe und Dramatik verleiht.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2001