CD Kritik Progressive Newsletter Nr.33 (12/2000)

Roger Waters - In the flesh
(72:32 + 75:09, Columbia, 2000)

Er hat sich rar gemacht. Sein letztes Studioalbum "Amused to death" erschien vor 8 Jahren und seitdem hat man Roger Waters auch auf den Bühnen dieser Welt zu selten gesehen, abgesehen vom etwas missglückten Versuch 1990 "The wall" in Berlin mit vielen Gastmusikern nochmals zu reaktiveren. Umso erstaunlicher, dass er ohne neues Material letztes und dieses Jahr live in den U.S.A. unterwegs war und dabei eine phänomenale Performance ablieferte, die die Kritiker allerorts besonders wegen der Qualität der geradezu zeitlosen Musik begeisterte. Als optisches Resultat soll davon nächstes Jahr eine DVD erscheinen, jetzt liegt immerhin schon eine bis fast an die letzte Brennrille vollgepackte Doppel CD vor. Und bereits sie offenbart, dass es Roger Waters auch im Jahr 2000 immer noch versteht perfekte Musik zu zelebrieren. Den Löwenanteil der beiden CDs nimmt dabei natürlich Material von Pink Floyd ein, wobei es eine ausgezeichnete Band versteht, u.a. mit den schon während der Wall Tour engagierten Wegbegleiter Snowy White an der Gitarre oder auch PP Arnold als Backgroundsängerin, den alten Klassikern neues Leben einzuhauchen und einen klangtechnischen Breitwandsound par excellence voll Wärme und inhaltlicher Tiefe zu reproduzieren. Waters greift dabei nicht nur auf jenes Material zurück, welches seine ehemaligen Bandkollegen bereits auf ihren letzten Livealbum präsentierten, er wühlt auch ordentlich in der Mottenkiste, um dabei solche Perlen wie "In the flesh", "Dogs", "Mother" oder als besondere Überraschung "Set the controls for the heart of the sun" auszugraben. Natürlich fehlt auch nicht das Gros an typischen Floyd Klassikern, die Reise geht durch die großen Alben "The dark side of the moon", "Wish you were here", "Animals" und "The wall", überraschenderweise wird sogar "The final cut" gestreift, so dass man weder auf "Time", "Money", "Wish you were here", "Shine on you crazy diamond", "Welcome to the machine", noch auf "Another brick in the wall" oder "Comfortably numb" verzichten muss. Daneben steuert Waters ebenfalls noch einige Titel von seinem letzten Solowerk "Amused to death", sowie einen Song von "The pros and cons of hitchhiking" bei, wie es auch zum Abschluss des Konzertes mit "Each small candle" ebenfalls noch einen unveröffentlichten, äußerst vielversprechenden Track gibt, der sich bestens ins Gesamtwerk einfügt. "In the flesh" verfügt neben einem perfekten Sound, über sehr lebendige Musik, die nie nur den Anschein erweckt, dass hier jemand nochmals schnell abkassieren wollte, um altes wieder neu aufzubrühen. Die Band wirkt im Zusammenspiel kompakt und die Songs atmen voll Lebensfreude, als ob sie gerade erst aufgenommen wurden. Im Vergleich mit den letzten beiden Livealben der aktuellen Pink Floyd geht Waters als eindeutiger Punktsieger aus dem Duell heraus. Es wird Zeit, dass er wieder den Weg über den Teich in unsere Breitengerade findet.

Kristian Selm



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