CD Kritik Progressive Newsletter Nr.33 (12/2000)

Pesniary - Gusliar
(36:44, Boheme, 1980)

Auch jenseits des eisernen Vorhangs, in einer Zeit, da man bei uns kaum etwas von vielfältigen musikalischen Szene im ehemaligen Ostblock mitbekam, gab es dort musikalische Visionäre, die Neues mit Altem neu vermischten, um daraus genreübergreifende Kunstwerke entstehen zu lassen. Mit den Möglichkeiten der Verschmelzung von Klassik und Rock, volksliedhaftes mit sinfonischen Elementen zu versehen, Polyphonie und pulsierende Sounds gegen Geiger und Bläser laufen zu lassen, bewies 1980 der russische Komponist Vladimir Muliavin Mut und Innovationsfreudigkeit. Erstaunlich dass auch der Staatsapparat solchen Ideen scheinbar aufgeschlossen war und somit sein über 35-minütiges Werk "Gusiliar", die Vertonung der poetischen Legende Gusliar, sogar auf dem staatlichen Label Melodiya herausbrachte. Geprägt wird das sinfonische, sehr dramatische Werk hauptsächlich von den emotionalen Gesangsstimmen, musikalisch lebt es vom andauernden Kampf zweier Elemente, dem ewigen Gegeneinander von Gut gegen Böse. Leider gelingt dabei der Balanceakt zwischen den Genres nicht immer zur vollsten Zufriedenheit. Klingt es mal bei massiven Synthieattacken, wie eine russische Version von Emerson Lake und Palmer, in überschäumenden Gitarrenorgien wie bester 70er Italo Prog, gibt es auch immer wieder Passagen, die zu leicht in poppige, fast schon Schlagergefilde abgleiten. Das kurzfristige Tralala mit Bläseruntermalung kommt als perfekter Beitrag des Grand Prix D'Sowjetunion daher, fehlt nur noch die optische Umsetzung mit tuntigem Fernsehballett. Doch immer dann, wenn man gerade an der Belanglosigkeitsgrenze kräftig gerüttelt wird, fängt sich das Werk und auf einmal klingt die gerade noch nette Brass Section schräg und läuft schon fast in Dissonanz gegenläufig gegen Rhythmus und Synthesizerklänge an. In jenem Augenblick als der vermeintliche Krach über den Hörer zusammenbricht, schluchzen urplötzlich Geige und sanfte Pianoklänge in versöhnlicher Schönheit, die aber keineswegs platt oder belanglos wirkt. "Gusliar" lebt vom ständigen auf und ab, von der scheinbar nicht vereinbaren Zusammenbringung verschiedener Stile. Trotz einiger flachen, wenig berauschenden Phasen, überwiegen die positiven Eindrücke, die über weite Strecken für sinfonischen Bombast russischer Prägung, Classic Rock in seiner wahren Bedeutung des Wortes sorgen.

Kristian Selm



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