CD Kritik Progressive Newsletter Nr.33 (12/2000)
Geddy Lee - My favourite headache
(48:03, Atlantic, 2000)
Rush goes solo. Nach Gitarrist Alex Lifeson Projekt Victor, legt nun auch Sänger, Bassist und Keyboarder Geddy Lee sein erstes Solowerk vor. Im Gegensatz zu seinem Bandkollegen, der mit Victor völlig neue, teilweise sehr experimentelle Wege einschlug, vertraut Geddy Lee mehr auf Altbekanntes, so dass "My favourite headache" sehr nach Rush klingt und sich schon fast die Frage aufwirft, warum dessen Output nicht gleich für den nächsten Longplayer des kanadischen Trio verwendet wurde. Immerhin durfte Geddy Lee somit endlich seine eigene Texte verwenden, was ja ansonsten Schlagzeuger und Texter Neal Peart vorbehalten ist. "My favourite headache" beginnt mit dem Titelsong, der auch als Single ausgekoppelt wurde, unverblümt kraftvoll und grandios. In einer Mischung aus Alternative Rock, schrägem Progressive Rock und der Power der frühen Rush macht dieser druckvolle Song Lust auf mehr und bohrt sich mit seinen kernigen Basslinien sofort ins Gehör. Doch leider fällt schon beim nachfolgenden "The present tense" die Emotionskurve wieder nach unten. Wie bei den Rush Longplayern aus den 90ern, wie z.B. "Counterparts" oder "Test for echo" gibt es zwar ein paar rechte Kracher (bei diesem Album hat "Runaway train" Ohrwurmcharkter, die akustische Ballade "The angels' share" drückt auf die Tränendrüse), doch der Durchschnitt der Songs landet leider nur auf ordentlichem Niveau. Auch "My favourite headache" verursacht so leider mehr Kopfschmerzen, als Herzerweichen. Okay, die Songs rocken gut los, die Arrangements wirken eine Spur kantiger als bei Rush und auch von den Einfällen geht Geddy Lee eigene Wege, in dem er sich einem mehr düsteren Klangbild bedient. Doch fehlt den Song der rechte Schwung, die prägnante Hookline fürs Gedächtnis, die echte Magie, mit der man von den Kanadiern vor allem Ende der 70er, Anfang der 80er umzaubert wurde. Bei genauen Hinhören offenbart "My favourite headache" sicherlich Abwechslung und mehr Vielschichtigkeit gegenüber den letzten Rush Outputs, doch ging Alex Lifeson mit Victor wesentlich konsequenter und eindringlicher neue Wege, Lee kratzt leider nur an der Oberfläche. Ein ordentliches Rockalbum mit Prog Appeal - leider nicht mehr, aber zum Glück auch nicht weniger.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2000