CD Kritik Progressive Newsletter Nr.33 (12/2000)
Mike Keneally & Beer For Dolphins - Dancing
(79:55, Exowax, 2000)
Gleich mehrere Argumente sprechen für diese Platte, von denen eines haarscharf auf der Kippe steht. Sämtliche 20 Songs (knapp 80 Minuten!) sind unnachahmlich auf hohem Niveau komponiert (ohne das geht nichts), die Band ein technischer Traum, die Besetzung gebiert Freudentränen und - das wäre bei manch anderem Musiker in die Hose gegangen - trotz Gitarrensoli, hartem Rock und abstraktem Jazz geht den Songs jeder Hauch von Aggressivität völlig ab. Eine gelassene, erwachsene Entspanntheit klingt aus den Boxen... Da spricht das Backcover eine beredte Sprache. Trotz langer Haare und Schalk in so manchem Augenwinkel wirkt die Band gepflegt, lässig und selbstbewusst. Was haben wir von Mike Keneally zu erwarten? Bisher liegen einige Alben vor, die sich im schrägen, progressiven Jazzrock, mit Ausdruck und Qualität von Frank Zappa, dem Mike einst an der Gitarre ausgezeichnet assistierte, bewegen. Trotz aller eindeutigen Zuordnung hatte Mike schon immer selbständige Qualität und einen Ausdruck, der schließlich typisch geworden ist. "Dancing" ist das erste Album mit "Beer for Dolphins" in dieser Besetzung. Neben dem obligatorischen Bryan Beller (bs), dem neben Mike weiteren originären Komponisten Chris Opperman (Trompete) und der aus Chris Opperman's Band stammenden, ausnehmend gut aussehenden und spielenden Tricia Williams (xyl, mar, vib) musizieren: Marc Ziegenhagen (keyb), Jason Harrison Smith (dr), Evan Francis (a-sax, fl) und Rick Musallam (g). Mike Keneally übernahm Gitarre und Lead Vocals. Wie schon auf "Sluggo" (1997) ist das Album (trotz fehlender Aggressivität) mehr im Rock aktiv. Es gibt etliche und wundervolle Elemente aus dem Jazz und natürlich Reminiszenzen an Frank Zappa, was sich in der instrumentalen Zusammensetzung und im Ausdruck wiederfindet (ich sage nur: agogische Zentren!). Die potentiellen Radiohits "Live in Japan" und "Dancing" grooven, was das Zeug hält, rasieren mit messerscharfen Bläsern aus den Boxen und gehen ungemein in die Beine. Vor allem die komplexen, schräg-sanften, wie gemalten Kompositionen "Selfish otter", das ultraspannende "Lhai Sal", "Pretty enough for girls", die zappaesken "The brown triangle" und "Kedgeree", das selbstbewusste "Skull bubbles" oder die Balladen "Joe" und "Taster" mit ihrem langsamen, schleppenden Rhythmus machen schwach und begeistert. Nicht eines der 20 Stücke ist langweilig. Überall sprießen wunderbare, witzige und spannende Momente. Zwischen epischer Melancholie und dramatischer Hysterie können diese extravaganten Musiker jedes Gefühl mit blitzartiger Verwandlung ohne plakative Gestaltung im Tonfall nachvollziehen. Und wer früh genug sein Interesse bekundet, diese CD kaufen zu wollen, kann eine zweite Live-CD miterwerben. Fünfzehn Songs (nochmals 73 Minuten) Keneally solo und mit Band unplugged, sind mitreißend, vital und ungewöhnlich lebensfroh musiziert und gesungen, zwischendurch erzählt Mike Witze und Geschichten und animiert das Publikum mitzusingen. Wer dabei war, hat einen ausgezeichneten Abend erlebt. Schön, das wir das jetzt nachholen können. Dieser Rundumschlag intelligenter Rockmusik des 21. Jahrhunderts ist gelungen. Looking for a new favorite album? Here it is!
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2000