CD Kritik Progressive Newsletter Nr.32 (10/2000)

Rio Art Rock Festival '99
(71:04 + 62:41, Rock Symphony, 2000)

Brasilien scheint ein sehr fruchtbarer Boden für Progressive Rock zu sein. So verwundert es auch nicht, dass dort schon viermal in Anlehnung an das wohlbekannte Progfest in L.A. ein eigenes Festival, das Rio Art Rock Festival, stattfand. Auf der vorliegenden Doppel CD befinden sich nun Ausschnitte aus den drei ersten Festivals, wobei die 97er Ausgabe die erste CD einnimmt, die 96er und 98er Ausgabe sich die zweite CD teilen müssen und somit der Titel "Rio Art Rock Festival '99" eigentlich völlig irreführend ist. Los geht's mit drei Titeln des brasilianischen Instrumentalquartetts Quaterna Réquiem, die mit klassisch inspiriertem Sinfonikrock einen ordentlichen, guten, wenn auch keineswegs überragenden Einstieg bieten. An manchen Stellen klingt es einfach eine Spur zu verwaschen und nicht jede Idee will zünden, aber hier und da gibt es doch prima anhörbaren Keyboardbombast, der rhythmisch verschachtelt leichte ELP-Anleihen erkennen lässt. Die ebenfalls mit drei Titeln vertretenen Violeta De Outono fangen zwar ebenfalls verhalten an, doch Gitarre mit Bottleneck-Technik gespielt und weit ausladende Klangteppiche geben der Musik einen sehr spacigen, psychedelischen Charakter. Die Band baut sehr viel auf Atmosphäre und sachten, sich inhaltlich immer mehr steigernden Songaufbau, kein komplexes Gedudel also, sondern Klangreisen in weite Fernen. Gut gemacht und überzeugend präsentiert. Mein etwas gespaltenes Verhältnis zu den Livequalitäten des Pär Lindh Projects erfährt auf diesem Sampler leider seine Bestätigung. Musikalisch und spieltechnisch gibt's nichts zu meckern, die Herren wirbeln über die Instrumente, die eine Dame trällert angenehm dazu. Die Mischung aus klassischen Elementen und hartem Progressive Rock kommt gut herüber, aber Herr Lindh trifft eben nicht jede Taste und Frontfrau Magdalena Hagberg liegt stimmlich manchmal ziemlich daneben. Die zweite CD bietet dafür wesentlich mehr Abwechslung und die ausgeklügeltere Musik. Die länderspezifisch sehr verschiedenen Bands El Fire (Brasilien), Minimum Vital (Frankreich), Sagrado (Brasilien) und Solaris (Ungarn) bieten allesamt verschachtelte, sehr ausgeklügelte Instrumentalmusik, in der sie geschickt auch folkiges bzw. jazziges einfließen lassen. Zum Abschluss gibt es noch drei mal guten bis sehr guten Neo Prog mit den Bands Apocalypse, Tempus Fugit und Pendragon, wobei die Aufnahme von Pendragon als einzigste auf diesem Sampler durch Bootlegqualität auffällt, da sie nicht direkt vom Mischpult mitgeschnitten wurde (oder durfte, wer weiß dass schon bei Nick Barett und seinen Mannen?). Insgesamt eine solide Zusammenstellung, die einem einen guten Überblick über die weltumspannende Underground Szene liefert, wenn auch mit einem deutlichen Überhang zu brasilianischen Bands und klanglich nicht immer die Qualität der Studioaufnahmen erreichend. But that's Live!

Kristian Selm



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