CD Kritik Progressive Newsletter Nr.32 (10/2000)
French TV - III: Virtue in futility
(55:17, Pretentious Dinosaur Records, 1994)
French TV - 4: Intestinal fortitude
(71:03, Pretentious Dinosaur Records, 1995)
French TV - 5: Live Yoo-Hoo!!!
(69:41, Pretentious Dinosaur Records, 1997)
French TV - 6: The violence of amateurs
(65:59, Pretentious Dinosaur Records, 1999)
Bereits seit 1983 arbeitet der Bassist / Bandleader Mike Sary mit wechselnden Besetzungen unter dem Projektnamen French TV. Herausgekommen sind dabei sehr vielschichtige Alben, die mehr ein Momentaufnahme der jeweils aktuellen Band sind und stilistisch von Canterbury Sound, R.I.O., sinfonischem Progressive Rock bis hin zu Fusion, sowie freier Improvisation reichen. Dementsprechend sind die Kompositionen mal fordernd, komplex, abstrakt, können auf der anderen Seite aber auch sehr eingängig und melodisch sein. Dazu gesellt sich ein nicht unerhebliches Maß and Ironie und Humor, was der Musik etwas die Schärfe nimmt. Zur Kritik liegen nun die vier letzten von insgesamt sechs Veröffentlichungen der amerikanischen Band vor, die die Schaffensperiode der 90er abdeckt. Dass in der Zeit von 1987-1990 aufgenommene dritte, rein instrumentale Album "III-Virtue in futility" ist der Einstieg in eine ganz eigene musikalische Welt, die sich über weite Strecken als recht fordernd erweist, immer wieder komplexe, eigenartige Verrenkungen vollführt, die aus der schon vorher angesprochenen Stilvielfalt etwas ganz Neues entstehen lässt. Neben 'normalen' Rockinstrumentarium bekommen vor allem verschiedene Blasinstrumente (Saxophon, Trompete) jede Menge Freiraum eingeräumt, so dass es auch mal in völlig freie Jazz Akrobatik abgleitet. Das, was die Stärke von French TV ist, nämlich keine Grenzen zu ziehen, ist zugleich auch die Herausforderung. Hat man sich gerade durch einen ziemlich schrägen Improvisationsteil durchgekämpft, wird man mit gefangennehmender, melodischer Schönheit wieder eingeholt. Der Nachfolger "4: Intestinal fortitude" teilt sich zur Hälfte in Canterbury / R.I.O. / Fusion Stücke auf, die auch mal in typische Samla Mammas Manna Kirmesmusikmentalität oder zappaeske Spielereien abrutschen, sowie zu anderen Hälfte in direkten, fordernden Progressive / Art Rock. Die Kompositionen sind sehr vielschichtig, und umfassen ein Spektrum, welches bis hin zu sehr spartanischen, verträumten Akustikparts reicht. Der Zuhörer bekommt jede Menge Material zum tieferen Eintauchen in die äußerst interessante Welt von French TV. Zum ersten mal wird auch Gesang bei French TV verwendet, wobei Schlagzeuger Bob Douglas stimmlich und von der Intonation sehr stark an Peter Hammill erinnert. Fast schon logisch, dass eine sehr wuchtige VdGG Coverversion "Pioneers over 'C" das Album beschließt. "4: Intestinal fortitude" ist der sicherlich das am meisten im Progressive Rock verwurzelte Album und kann somit bestens als Einstieg empfohlen werden. Auf dem ersten Livealbum der Band "Live Yoo-Hoo!!!" zeigen die vier Amerikaner, dass sie auch auf der Bühne ihre Musik grandios umsetzen können. Interessantweiser wurden ausschließlich die komplexeren Titel der vorangegangenen Studioalben ausgewählt. Einfach unglaublich mit welcher Präzision sich selbst durch die komplexesten Passagen durchgehangelt wird, aber dadurch dass die etwas leicht verdaulicheren Songs bzw. Parts fast vollständig weggelassen wurden, ist diese komprimierte Form musikalischen Wahnsinns auf Dauer einfach zu viel. Dass zahlenmäßig recht dürftig vertretende Publikum ist dies aber offensichtlich völlig egal. Die kleine, aber feine Menge rastet im kollektiven Enthusiasmus richtiggehend aus. Doch auf dem aktuellsten, wieder rein instrumentalen Album "The violence of amateurs" werden die Grenzen noch weiter ausgelotet. Wer bisher glaubte, dass man komplexen Bombast, Jazz Rock, Bossa Nova, 50er Jahre Filmmusik mit Quietscheorgel, Surf Sound, guturalen Stammesgesang, Militärmusik, Free Jazz, Big Band Passagen, groovende Rhythmen und griffigen, krachenden Rock nicht ziemlich verquer vermischen kann, wird hier eines besseren belehrt. Dieses Album ist sicherlich der bisher abenteuerlichste Versuch etwas Neues zu erschaffen. Und so reichen die eigenen Empfindungen dann auch von überraschtem Erstaunen, totaler Begeisterung ("The odessa steps sequence" ist ein grandioser, progressiver Knaller par excellence) bis hin zu blankem Entsetzen. Ein Album für offene Ohren auf der Suche nach Neuartigem, dass sich nach einem extremen Beginn doch noch etwas fängt und zumindest aber der Hälfte wieder eine einheitliche Linie erkennen lässt.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2000