CD Kritik Progressive Newsletter Nr.31 (07/2000)
Tryo - Crudo
(45:22, Privatpressung, 1998)
Tryo - Patrimonio
(41:21, Cantera Producciones, 1998)
Unserem freien Mitarbeiter Juan Barrenechea Herrera aus Chile ist es zu verdanken, dass jetzt endlich auch einmal Scheiben aus seinem Heimatland zur Besprechung vorliegen. Im Gegensatz zu den ansonsten mehr melodischen Produktionen aus Südamerika respektive Brasilien bzw. Argentinien, ziehen die Chilenen ganze andere Saiten auf und lassen es richtig krachen. "Crudo" ist ein Livealbum, welches aber qualitativ sehr nahe an eine Studioproduktion herankommt. Die harten, komplexen Songs gehen tendenziell von ihrer musikalischen Ausrichtung Richtung frühe Rush bzw. King Crimson, sind sprunghaft, fordernd und garantiert kein Stoff mit dem man sich beim lauten Anhören bei den Nachbarn Freude macht. Trotz, dass die drei über und mit ihren Instrumenten wirbeln, ist das Zusammenspiel ausgezeichnet aufeinander abgestimmt und kommt druckvoll, auf den Punkt gebracht herüber. Zwar geht es manchmal schon recht heftig, deutlich von Hard Rock inspiriert, zur Sache, doch schaffen Tryo es immer wieder gerade noch die Kurve zu kriegen, bevor die Musik zu nervig wird. Doch diese Band hat zwei Gesichter, neben den aggressiven Klängen, gibt es auch eine akustische Seite, bei der die elektrische Instrumente zur Seite gelegt werden und deutlich trauriger, sehr ruhig mit akustische Gitarre, Cello, Percussion und Vibraphon der Schlenker zur modernen Klassik geschafft wird. Diese beiden Seiten sind extrem, doch sorgen sie wahrscheinlich auch dafür, dass die Musiker ihre innerliche Balance finden. Somit zerfällt die CD in zwei Teile und fordert natürlich dem Hörer bzw. auf der CD dem Konzertbesucher einiges an musikalischer Offenheit ab. Das aktuelle Studioalbum "Patrimonio" führt nun die beiden gegensätzlichen Pole zusammen und ergänzt den Sound noch um spacigere Ausflüge, womit z.B. der Opener "Valparaiso psicodélico" wesentlich offener, aber auch leichter, wie komplett ein andere Band klingt. So bilden die vier ersten, mehr akustischen, von Soundscapes durchzogenen Songs eine Einheit, führen im Zusammenhang die ruhige, besinnliche Art fort, wodurch die Musik zugänglicher, nicht mehr so sperrig wirkt. Auch die nachfolgenden Songs, die wieder elektrisch verstärkt sind, haben längst nicht mehr die Aggressivität des Livealbums, geblieben ist aber die Sprunghaftigkeit und die steten Wechsel, die für ein gehöriges Maß an Komplexität sorgen. An manchen Stellen klingt es nun wie Isildurs Bane, manchmal schon fast zappaesk, bevor harte Gitarrenriffs wieder zur Rückkehr zum Rockfundament sorgen. Tryo ist eine Band, die es trotz fast reiner Instrumentalmusik (auf dem aktuellen Album gibt es immerhin einen Titel mit Gesang!) versteht abwechslungsreich zu klingen, ohne sich nur selbst zu kopieren. Da sie aber keineswegs leicht verdauliche Kost anbieten, werden sie leider nur einen kleinen Kreis ansprechen, der aber dafür einiges geboten bekommt.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2000