CD Kritik Progressive Newsletter Nr.30 (05/2000)

Sens - Les regrets d'Isidore D.
(66:44, Mellow Records, 1999)

Der Beginn ist schon mal sehr verheißungsvoll. Dramatisch schwellen Keyboardakkorde an, über die sich langsam eine jubilierende Gitarre legt. Doch gerade in dem Augenblick der größten Dramatik, setzt französischer Gesang ein, der Song bekommt einen Bruch und holpert neo-progressiv los. Hat sich die erste Enttäuschung dann gelegt, offenbart sich jedoch eine durchaus ansehnliche Produktion aus Frankreich, die mit hohem Melodienanteil, aber genauso abwechslungsreichen Songstrukturen sich abseits vom 08/15 "wir wollen so wie alle klingen" Einheitsbrei wegbewegt. Nach dem siebenminütigen Opener "Marthe à la nuit" gleich mit "La bête du Gévaudan" einen vierundzwanzigminütigen Longsong folgen zu lassen, zeugt von Mut und Überzeugung. Und so ist auch dieser Song voll Dramatik, der expressive französische Gesang sicherlich für einige zu abschreckend, aber instrumental wird kräftig gebreakt, Dramatik mit Keyboardläufen und Saitenkunst geschürt und weitausladend recht heftig losgeproggt. Ein absolut brillantes Kleinod, welches über seine gesamte Lauflänge keine Langeweile aufkommen lässt. Doch selbst nach diesem Highlight haben Sens noch genug Holz, um das Feuer am Brennen zu erhalten, wenn auch die Flamme nicht mehr die Wärme erzeugt wird, wie beim ersten Entzünden. Entweder geht es mehr auf der dramatischen Balladenschiene ("Le livre"), versiert sphärisch rockend ("D'un coup d'aile") oder verträumt-druckvoll, typisch francophil ("Jeu de patience") zur Sache. Die Franzosen haben ihre Hausaufgaben wirklich gut gelöst. Sie klingen eindeutig neo-progressiv verwurzelt, aber keineswegs austauschbar und bewahren ihre eigene Originalität. Eine Band mit Zukunft und einem beachtenswerten Debüt.

Kristian Selm



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