CD Kritik Progressive Newsletter Nr.30 (05/2000)

Air - Moon safari
(43:49, Source, 1998)
Air - Premiers symptomes
(33:53, Source, 1999)
Air - The virgin suicides
(40:33, Source, 2000)

Manchmal ist es selbst heute noch lohnenswert, sich Alben zu widmen, die es in die deutschen Charts geschafft haben, weil sie irgendwie anders sind, als der inzwischen immer ähnlich klingendere, seichte Radiodurchschnitt. Air kommen aus Frankreich und bestehen aus den zwei Soundtüftlern Nicolas Godin und Jean-Benoît Dunckel. "Und was hat das Ganze in diesem Heft zu suchen?", höre ich schon den verwirrten Leser fragen. Zwei Gründe: zum einen liegen die Wurzeln der zwei ganz tief in den 70ern; psychedelische Elemente, Krautelemente und spacige Sounds sind ihr Markenzeichen, die zusammen mit modernen Beats zeitgemäß und frisch klingen. Zudem kommen die Sounds nicht aus dem Computer, sondern Rhodes, Mellotron, Mini Moog, Vocoder und anderes angetagtes Instrumentarium verleihen Air ein richtig antiquiertes Klangbild. Das Debüt "Moon safari", welches von den beiden inzwischen als "zu süß, zu niedlich und zu künstlich" abgetan wird, ist zwar von den Ideen her recht poppig und voll gefangennehmender Melodien (die Single "Sexy boy" schaffte es sogar in deutschen Singlecharts), aber die abgehobenen Sounds und vor allem der oftmalige Vocodereinsatz gibt den Songs einen unheimlich spacigen, transparenten Anstrich. Hüpfende Rhythmen, hypnotische Bassläufe, weiche, verträumte Melodien in den zum Teil rein instrumental Titeln sorgen für einen meditativen, fast schon soundtrackmäßigen Charakter. An manchen Stellen tendiert die Musik aber auch schwer Richtung "Easy listening" ohne jegliche Widerhaken, womit die beiden Franzosen mit ihrer eigenen Kritik sicherlich zum Teil Recht behalten. Das zweite Album "Premiers symptomes" ist eigentlich eine Zusammenstellung aus Singles bzw. B-Seiten, die zwischen 1995 und 1998 erschienen. Die zwei Franzosen sind hier noch auf der Suche nach der eigenen Identität, aber die Mischung aus Trip Hop, leichtem Jazz und psychedelischen, sinfonischen Elementen geben der Musik ein wesentlich experimentelleres Klangbild, welches eindeutig von den elektronischen Sounds der frühen 70er bestimmt wird. Die meisten Titel sind sehr ruhig, fast schon minimalistisch gehalten, leben somit nur von einzelnen Wah-Wah Sounds, Figuren am Rhodes Piano oder Moog Bassläufen, wirken aber unheimlich intensiv. Besonders der sehr hypnotische Titel "Le soleil est pres de moi" gehört sicherlich zu den besten Tracks von Air überhaupt. Da die Musik von Air sowieso schon sehr an Filmmusik erinnert, war es nur eine logische Entwicklung, dass ihr aktuelles Werk "The virgin suicides" der Soundtrack zum gleichnamigen Film von Sofia Coppola ist. Insgesamt 13 Titel, zum Teil gerade mal etwas über zwei Minuten lang, tummeln sich auf dem Album, das wesentlich düsterer, aber auch krautiger klingt. Hier kommen eindeutig Einflüsse von Kraftwerk, Goblin und Pink Floyd zum Tragen. Besonders traurig klingt natürlich der exzessive Mellotroneinsatz, "The virgin suicides" ist auch keineswegs so pappig zuckersüß, wie noch "Moon safari". Das Album wirkt reifer und ausgewogener, in Teilen sogar absolut umwerfend, sofern man etwas mit reiner Instrumentalmusik anfangen kann. Mal gespannt, was als nächstes von den Franzosen zu erwarten ist. Bevor man aber nun blindlings in den Laden rennt, um sich diese Scheiben zu kaufen, sollte man die Chance nützen, sich diese eigenwilligen Sounds zuvor irgendwo anzuhören, denn für manchen wird dieses Klangspektakel sicherlich zu wenig fordernd, zu seicht sein. Trotzdem ist es schön, dass sich zumindest klangtechnische Sprenkler aus der Vergangenheit ins 21.Jahrhundert gerettet haben.

Kristian Selm



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