CD Kritik Progressive Newsletter Nr.30 (05/2000)
Gunesh - Rishad Shafi presents Gunesh
(65:31, Boheme, 1999)
Der Entdeckergeist ist es, der das Stöbern im Musikdschungel immer wieder interessant macht. Und entdeckt man dann auch noch solche Perlen, wie die turkmenische(!) Band Gunesh (sprich Günesch), dann macht das Suchen doppelt natürlich Spaß. Diese Entdeckung ist Boheme Music zu verdanken, einer russischen Gesellschaft, die Musikprogramme der ehemaligen UdSSR verwaltet und vor allem Musik aus den Sparten Klassik, Geistige Musik und Jazz veröffentlicht. Zwar wird Gunesh ebenfalls dem Jazz Bereich zugeordnet, aber Andrei Rubin, seines Zeichens International Director des tschechischen Büros von Boheme Music, pries dieses Album als eines der besten Progressive Rock Alben aus der ehemaligen Sowjetunion. Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo dazwischen, denn was die Band um den Schlagzeuger Rishad Shafi musikalisch bietet - der übrigens seit der Gründung von Gunesh im Jahr 1970 mit 65(!) verschiedenen Musikern spielte - ist eine perfekte Verschmelzung aus Jazz Rock, Progressive Rock und orientalischer Folklore. Die vorliegenden Aufnahmen stammen aus den Jahren 1980 - 1984, es soll in den Archiven aber noch mehr Material für ein weiteres Album geben. Bei Gunesh wird viel von Improvisation bestimmt, obwohl inhaltlich alles sehr durchstrukturiert und keineswegs zufällig wirkt, denn die polyrhythmischen Kompositionen bieten eine Feuerwerk an temporeichen Rhythmen, virtuoser Keyboardakrobatik und fetten Bläsersätzen. Zwar wird im Booklet als Vergleich Earth, Wind & Fire herangezogen, doch dieser Vergleich stimmt in keineswegs, passen hier doch eher Bands wie die polnischen SBB, oder in Ansätzen UK bzw. griechisches im Stil von Aphrodite's Child oder Sokrates. Besonders tritt natürlich auch der asiatische-orientalische Ursprung der Musik in den Vordergrund. Doch geht die musikalische Reise wesentlich weiter, da auch ebenfalls indische - mit Sitar, aber ohne Tablas - oder auch vietnamesische Einflüsse zum Tragen kommen. Doch trotz Folklore und einer jazzigen Bläserfraktion, kommt ebenfalls der sinfonische Gedanke nie zu kurz. Gerade massiver, überschäumender Keyboardeinsatz, Teufelsgeige oder verfremdete Gitarre führen die Musik auf allseits bekannte, progressive Wege. Der gelegentliche Gesang macht einem in seiner Intonation jedoch immer wieder bewusst, wo die eigentlichen Ursprünge dieser Band liegen. Ob temporeiche Dynamik oder ruhige, sanfte Melodik, Gunesh bleiben immer abwechslungsreich und können über die gesamte Laufzeit ihr ansprechendes Niveau halten. Leider fallen die letzten drei Titel qualitativ gegenüber dem restlichen Material ab, sie sind deutlicher in der landestypischen Folklore verwurzelt und sollten mehr als zusätzliches Bonusmaterial mit exotischem Touch verstanden werden. Aber dieses kleine Manko lässt sich angesichts des sonstigen Niveaus problemlos verschmerzen. Wer weiß, was noch für Schätze in den Archiven Osteuropas schlummern, die nur auf ihre Entdeckung warten. Deswegen heißt es auch weiterhin: Jugend forscht. Das einzigste Problem besteht dabei darin, ob man mit etwas über 30 Jahren eigentlich noch zur Jugend gezählt wird? Egal, dann eben Alter forscht oder trau keinem über 30!
Kristian Selm
Kontakt: Boheme Music International c/o Andrei Rubin, P.O. Box 251, 26601 Beroun, Tschechien
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