CD Kritik Progressive Newsletter Nr.28 (12/1999)
Lou Maxwell Taylor - Cheshire Tree Suite
(43:32, Privatpressung, 1999)
Man ist ja auf einiges gefasst, wenn man eine neue CD ins Haus bekommt - dies gilt freilich insbesondere dann, wenn eine CD von einem (bis dato) unbekanntem Künstler als Demo deklariert wird. Ich war also auf alles mögliche gefasst, als ich die Play-Taste drückte - bestimmt hatte ich aber nicht eine solch glückliche Fügung des Schicksal zu hoffen gewagt. Das wichtigste vorneweg: Dieses Album ist ein Meisterwerk, eine Perle, eine wundervoller Entdeckung - ich bin dankbar, dass mir das Glück widerfahren ist, von diesem außergewöhnlichem Album gehört zu haben, dieses einzigartige Album mein Eigen zu nennen. Die Musik auf diesem Album verfolgt, nein, begleitet mich seitdem ich sie das erste Mal gehört habe - bis in meine Träume, bis zu meinen ureigenen tiefen Empfindungen. Ein Album, dass wahrlich die Fähigkeit besitzt, eine enge Verbindung zwischen passivem Hörer und aktivem Musiker herzustellen, ein Album, dass diese sonst trennende Grenze bedeutungslos werden lässt. Zu enthusiastisch? Nein, nicht zu enthusiastisch - die Musik auf diesem Album ist wirklich wundervoll - und meine Begeisterung dafür ist bestimmt nicht gespielt. Was macht mich so enthusiastisch? Nun, die große Stärke dieses Albums liegt in seiner Integrität: Man hat niemals den Eindruck, dass Taylor sich bemüht jemand anders zu sein, als er ist. Was man in "Cheshire Tree Suite" hört ist ein Original, unnachahmlich und nicht nachahmend. Es ist in aller erster Linie unglaublich schöne Musik und diese ist das Ergebnis vieler einzelner Faktoren, die auf so wundersame Weise von Lou Maxwell Taylor zu diesem Werk zusammengefügt worden sind: Die Aufnahme und die Produktion sind glasklar, professionell und unterstützen das Gesamtkonzept des Albums (so sollte es sein); die Melodien auf "Cheshire Tree Suite" sind sehr ansprechend, niemals trivial, sondern und aufregend, bewegend, stets dem Song angemessen; die Arrangements sind ungewöhnlich, originell und imitieren kein großes Vorbild, sie brauchen sich nicht zu verbergen hinter großen Namen; die Instrumentierung ist überraschend, passend und vermeidet stets die Klischees der progressiven Rockmusik, verwendet stattdessen ungewöhnliche Instrumente (Cello, Mandoline, Bodhran, Klarinette uvm.) und unerhörte Instrumente (Sintharmonia, Tar, Kendang, Dombek uvm.), um eine so individuelle Musik zu kreieren, dass jeder Vergleich mit anderen progressive Rockgrößen hinken muss und dem Album in keinster Weise gerecht wird. Alles in allem unterstreichen sie die folkigen Note der Kompositionen, die in Wechselwirkung mit den elektronischen Elementen in "Cheshire Tree Suite" stehen. Die unterstützenden Musiker waren mir bisher völlig unbekannt. Nichtsdestoweniger sind einige von Ihnen etablierte Musiker: Der Percussionist Michael Masley ist einer der wichtigsten Cymbalom- Spieler und ein versierter Multiinstrumentalist und hat u.a. mit Zakir Hussain, Garbage, Chris Isaak, Levi Chen, und dem großen Ry Cooder beim Soundtrack Geronimo zusammengearbeitet. Der gebürtige Tscheche Radim Zenkl ist ein international bekannter Mandolinenspieler. Barry Cleveland, erfolgreicher und von den Rezensenten stets mit Wohlwollen bedachter Gitarrist und Komponist hat schon mit vielen Musikern zusammengearbeitet, etwa Michael Plutznick, dem Gitarristen Carl Weingarten und dem Dichter Craig Van Riper sowie Michael Masley und Michael Manring. Dan Reiter, der Cellist, der einigen der Stücke auf "Cheshire Tree Suite" ein so malerische und verträumte Note gibt, hat ebenfalls mit vielen Musikern zusammengearbeitet, u.a. mit Ali Akbar Khan. Außerdem ist er Principal Cellist im Oakland (California) Symphony Orchestra. Mike Masley spielt mit Dan Reiter und Barry Cleveland im Ensemble Cloud Chamber. Taylors Duettpartnerin in The Living and the Dead Lygia Ferra, ist als Solo- Künstlerin aktiv. Alle Musiker, die professionellen und die nicht- professionellen sind brillant, sie setzen die Nuancen in diesem Werk. Mit wenigen Pinselstrichen verdeutlichen sie die Anmut und Schönheit der dargebotenen Musik, doch vor allem Taylor selbst, der sich als Mulitiinstrumentalist für das solide musikalische Grundgerüst des Albums allein verantwortlich zeigt, brilliert - er lebt diese Musik, sein Spiel animiert diese Musik, erweckt sie zum Leben. Gekrönt wird das alles von Taylors wundervollem Gesang, der variantenreich den Charakter der Texte interpretiert: ausdrucksstark, tonsicher (sowieso) und voller Wohlklang - und obwohl ich diese Vergleiche eigentlich in bezug auf "Cheshire Tree Suite" vermeiden möchte, sei mir der Vergleich erlaubt, dass Taylor bisweilen ausdrucksstark und bilderhaft wie Peter Hammill singt, dann wieder leidenschaftlich wie Greg Lake, doch in Wirklichkeit imitiert Taylor niemanden. Nein, Taylors Stimme ist nicht das Plagiat eines anderen, sondern das Ausdrucksmittel par excellence seiner Texte und oh, was für Texte! Kunstvoll, voller Anspielungen, voller Wortspiele, 'mal glasklar und eindeutig, dann in der nächsten Zeile mystisch, das vorherige relativierend. Dies sind Texte, mit denen man sich auseinandersetzen möchte (oder muss, ich hatte keine Chance es nicht zu tun), Texte, die man sich erschließen muss, weil sie nicht alles preisgeben, preisgeben wollen. Es sind Texte, voller Filigranität und poetischem Geschick, deren eigentlicher Inhalt dem Hörer vielleicht auf ewig verschlossen bleibt, die aber andererseits im Hörer selbst Assoziationen wecken und so eine subjektive Realität erschaffen, die dieses Album schnell zu einem persönlichem Album werden lässt. Ein Album, dass, wie ich oben schon ausführte, einen Pakt zwischen Taylor und dem Hörer besiegelt, in dem die Grenzen zwischen passivem Hörer und aktivem Musiker bedeutungslos werden. Ich möchte den geneigten Leser nun gar nicht mit der letzte Hinweis erlaubt, dass ich geradezu betört bin von dem wundervollem Duett mit Lygia Ferra "The living and the dead", ein Stück dass einem wahrlich in seinen Bann ziehen kann und all das, was ich zuvor für das Album im allgemeinen sagte, gilt für diesen atemberaubenden Höhepunkt insbesonders.
Sal Pichireddu
"The Cheshire Tree Suite" wird (zunächst) vom Künstler selbst vertrieben und kostet 18,75 US $ (incl. 3,75 US $ Porto und Verpackung) und kann unter folgenden Adresse bezogen werden: Lou Maxwell Taylor, P.O. Box 1968, Brattleboro, Vermont, 05302 United States of America. Einfacher und schneller geht der Kontakt über eMail:Lmax@together.net. Weitere Infos gibt es unter http://welcome.to/the-cheshire-tree
© Progressive Newsletter 1999