CD Kritik Progressive Newsletter Nr.28 (12/1999)
Camel - Rajaz
(58:11, Camel Productions, 1999)
Moderne Technik macht's möglich. Der ex-Kayak und auch ex-Camel Keyboarder Ton Scherpenzeel steigt aufgrund seiner Flugangst nur allzu ungern in ein Flugzeug. Da Camel Mastermind Andy Latimer ja inzwischen in Kalifornien lebt, Scherpenzeel immer noch in seinem Heimatland Holland wohnt, schien eine Zusammenarbeit unmöglich. Doch in Zeiten der elektronischen Datenübermittlung können solche Grenzen überwunden werden, womit in zwei Studios gearbeitet und die Ideen per email ausgetauscht wurden. Ob es nur an der Rückkehr von Scherpenzeel liegt, dass Camel wieder mehr wie in den 70ern klingen? "Rajaz" (Musik, die auf Karawanen zu den Schritten von Kamelen gesungen wird) ist auf jeden Fall im Gegensatz zu den beiden letzten Konzeptalben "Dust and dreams" (1991) und "Harbour of tears" (1997) songorientierter und noch packender. Die insgesamt acht Lieder (zwei Instrumentals) bewegen sich alle oberhalb der fünf Minuten Grenze. Mehr als bei den Vorgängern gibt es nicht nur atmosphärische Schnipsel, sondern wieder "richtige" Songs zu hören. Dem arabischen Titel wird mit leicht orientalischem Einschlag Tribut gezollt. Latimer bleibt zwar mehr den ruhigen, getragenen Ideen treu - mehr als noch in den 70ern und 80ern ist akustische Gitarre zu hören - aber auch die alte Leidenschaft für sinfonischen, mitreißenden, melodischen Rock blitzt auf. Unverkennbares Markenzeichen sind natürlich die wunderschönen Melodien, die herzerweichenden Gitarrensoli, die schon immer Camel auszeichneten. Scherpenzeel darf zwar nur selten solistisch glänzen - Latimer prägt wie gewohnt mit seiner gefühlvollen, elegischen Spielweise den Sound seiner Band - aber auch seine Hintergrundarbeit tut dem Album gut. Die Rhythmusabteilung mit Colin Bass und Dave Stewart agiert gewohnt präzise und gruppendienlich. Ganz das Niveau von solch Klassescheiben wie "Moonmadness" (1976) oder "I can see your house from here" (1979) wird zwar nicht ganz erreicht, "Rajaz" braucht sich aber in keiner Weise vor ihnen verstecken und sollte mit dieser überzeugenden Rückkehr auch den Weg in die vorderen Plätze der Jahreshitparaden finden. Bleibt zu hoffen, dass sich Andy Latimer und seine Mannen nächstes Jahr wieder auf die europäischen Konzertbühnen begeben.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 1999