CD Kritik Progressive Newsletter Nr.27 (09/1999)
Kedama - Live at Sunrise Studios
(72:21, Black Rills Records, 1973-77)
Was für heutige Studiotechnik ein leichtes ist, da war früher Erfindergeist gefragt. Im Booklet beschreibt ausführlich Christian Linder mit welchen technischen Problemen (keine Samplersounds, Hall nach Wunsch) damals gekämpft wurde. Allein das Bedienen des umfassenden Keyboardarsenals (Hammond, Mellotron, Moog, Klavier) benötigte ungeheueres Fingerspitzengefühl, denn was heute einfach abgespeichert wird, musste damals bei jedem Soundwechsel neu eingestellt werden. Aber auch beim Ausarbeiten ihrer Ideen bewiesen Kedama Stehvermögen, denn monatelanges Feilen an den kleinsten Einfällen spiegelt sich eindrucksvoll in den spannungsgeladenen Kompositionen wieder. Die rein instrumentalen Stücke der drei Schweizer (Gitarre, Keyboards, Schlagzeug) sprühen geradezu vor Einfallsreichtum, spiegeln aber auch den Geist der damaligen Zeit wieder, als man sich noch Zeit und Raum für wohldurchdachte, verschachtelte Musik nahm. Mit Kunstkopf aufgenommen, dominieren abwechselnd Gitarre und Keyboards in abwechselnden Sounds. Mal schwellt dramatisch das Mellotron an, dann pflügt sich die Gitarre euphorisch und griffig durch die Takte, die Hammond ächzt, der Moog quäkt und die Rhythmik am Schlagzeug offeriert beim genauen Hinhören ein abwechslungsreiches Kaleidoskop. Die Musik ist komplex, aber dennoch nicht überladen, mal verspielt und gefühlvoll, aber keineswegs belanglos, ein Ausflug in indisch angehauchte Exotik sorgt für den Anstrich des Außergewöhnlichen. Zieht man Vergleiche, dann kommt die Sprunghaftigkeit von Gentle Giant, die düstere, wuchtige Melancholie der frühen King Crimson und die Tastenmagie eines Keith Emersons, sowie bei den zwei Titeln von 1973 Genesis in Frage. Kedama klingen aber dennoch originell und eigenständig, die Balance aus der Sentimentalität weicher Mellotronsounds und aggressiver Hammondattacken, die das Fehlen eines Bassisten geschickt übertünchen, geben der Band einen eigenen Charakter. Es gibt sie also immer noch, die unentdeckten Juwelen aus der Steinzeit der Rockmusik, ein weiteres Re-Release mit Bonusmaterial, das jede Sekunde Spannung und Klasse garantiert.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 1999