CD Kritik Progressive Newsletter Nr.26 (07/1999)
Lizard - In concert
(75:39 + 69:17, Black Rills Records, 1980/81)
"Dieses Album stammt aus einer Zeit, als das Publikum - nicht Tausende, aber wenigstens ein paar Dutzend oder Hunderte - noch gewillt waren, einer Schweizer Band und Liedern, die länger als drei Minuten waren, zuzuhören" Die Liner-Notes von Keyboarder und Flötist Kurt Widmer sprechen eine eindeutige Sprache und lassen erahnen, auf was man sich in den nächsten 171 Minuten bei gerade mal 11 Titeln einlässt. Alle Aufnahmen wurden auf diversen Auftritten mitgeschnitten, die Soundqualität ist insgesamt okay, nicht immer klingt alles homogen und ausgewogen, wobei besonders der wirklich gute Gesang, besonders darunter zu leiden hat. Doch die musikalische Qualität entschädigt mehrfach. Man braucht Zeit zum Zuhören, denn die vielseitige, sehr intensive Musik des Quintetts fordert vollste Aufmerksamkeit. Klassische Elemente stehen im Einklang mit Rockelementen, Jazzige Intermezzo werden von schwer bluesgetränkten Soli abgelöst. Neben der Orgel ist es das treibende Bass-Spiel, welches, wie das ein ums andere mal sich in den Vordergrund drängende Sechssaitenspiel, Akzente setzen kann. Ruhige Parts wechseln sich mit euphorischen Passagen ab, Dynamiksprünge erhalten die Spannung aufrecht, die Wurzeln dieser Musik liegen eindeutig in den 70ern, als im Artrock die stilistischen Grenzen ausgelotet wurden. So abwechslungsreich die Musik, so vielseitig auch die Vergleiche zu anderen Bands, die zur Orientierung dienen mögen. Während der Opener "There on the floor" noch etwas unbeholfen losgaloppiert, entwickelt er sich im weiteren Verlauf zu einer dramatischen Nummer, deren Schlussteil an Grobschnitt erinnert. Der mehrstimmige Gesang von "Don't know" ist eindeutig von Gentle Giant inspiriert, treibende Basslinien, sakrales Georgel und singende Gitarre, unterbrochen von einem Saxophonsolo machen 11 Minuten überaus interessant. Das sechzehnminütige "Plus qu'un instant" mit seinen bedeutungsschwangeren Harmonien und einer Mischung aus Jazz / Prog Rock erinnert stark an Happy The Man oder auch Yes. In einem gigantischen Schlussteil wandern Keyboard und Gitarre endlos fort. "Trop tard" ist nur sparsam instrumentiert, dauert dafür auch nur 3 Minuten, während "Afterwards" (hat nichts mit dem gleichnamigen VdGG Stück zu tun) vom expressiven Gesang lebt. Mit dem ewig ab- und anschwellenden "Ending" endet die erste CD. CD Nummer 2 beginnt mit "Bubble brain", einem von einem hüpfenden Rhythmus durchzogenen Stück, das nach der Hälfte der Spielzeit unheimlich Gas gibt und von heulenden Gitarrenklängen vorangetrieben wird, Schlagzeug und Bass sorgen mit ausgiebigen Soloeinlagen für eine orgiastische Steigerung. "Zèbre" bezieht seine Spannung auch hauptsächlich durch seine immer fortwährende Steigerung, während die Gitarre neue Höhen erreicht und lautmalerisch vom Gesang gestützt wird. Auf "Jam" tobt sich die Band in ausgiebigen freien Improvisationen auf fast 26 Minuten aus. Das Lied verfügt aber dennoch über einen stark sinfonisch geprägten Charakter. Nacheinander bekommen Saxophon, Keyboard, Gitarre, Schlagzeug und wiederum Keyboards und Orgel ihr Recht. "Going on" beschließt in mitreißender Manier mit wirbelnden Keyboards und Gitarre wiederum im Stil von Grobschnitt dieses prächtige Livealbum. Ein wirklich interessantes, kleines Meisterwerk einer bis dato noch nicht bekannten Band. Nachdem dieses Kleinod sechs Jahre bei Laser's Edge schlummerte, ist es Black Rills Records zu verdanken, dass es doch noch das Tageslicht erblicken durfte.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 1999