CD Kritik Progressive Newsletter Nr.26 (07/1999)
Lacrymosa - Bugbear
(69:39, Privatpressung, 1993)
Alles, was man sich an klassischen Folk- und Rockinstumenten denken kann, gibt sich bei Lacrymosa die Ehre. Und ich spreche hier nicht von den Düsterpoppern, sondern von den avantgardistischen Japanern. Zwischen melancholischen Fragmenten, besessen agierenden Parts und streng abstrakten Melodien sind 12 Musiker unterwegs, sich mitten im Progressive Rock der neuen, avantgardistischen Schule ein phantastisches Denkmal zu setzen. Nicht schwer nachvollziehbar entwickeln sich verwunderlich melodische Strukturen, die wieder die Sprache freier Musiker sprechen. Wie die Geige erzählt, nahe dem falschen Ton, auf dem schmalen Grat zwischen Melodie und Disharmonie. Und wie jedes Instrument sich dazu gesellt, jederzeit bereit, völlig atonal auszubrechen und die Lust an der wilden Aggression auszulassen, ist hinreißend und hin und wieder komisch und witzig, wie selten. Und immer wieder kommt ein seltsam "klezmer"-sches Gefühl auf, inmitten der Songs, als Fragment oder fester Bestandteil der Melodie. Da machen sich sehr gute Musiker lustig über unseren kleinen Geist, der das doch schon längst nicht mehr will, nicht wahr? Wir wollen immer das Gleiche und nicht etwas die Schrägen, die uns erschrecken und aufwecken. Sind wir zu alt, ist der Progressive Rock zu alt? Soll, verdammt noch mal, der Progressive Rock verrecken, um unserer kleinen Grenzen willen? Weil wir nix weiter wollen, als nur immer wieder die gleiche Sinfonik-Yes-Genesis-Marillion-Leier, die scheinbar nie endet und immer neue Bands findet? Nun, Lacrymosa sind kein Allheilmittel für die ewige Jugend des Progressive Rock, aber sie sind bereit, darin zu leben, indem sie die Grenzen wieder und wieder aufreißen und Hörgewohnheiten hinterfragen. Mit dieser Platte können auch wir geweckt werden. Muss sein, denke ich.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 1999