CD Kritik Progressive Newsletter Nr.22 (09/1998)

Galahad - Following ghosts
(73:40, Avalon Records, 1998)

Auf diese Neuerscheinung war ich wirklich sehr gespannt! Aus dem Bereich britischer 90er-Prog gehörten Galahad schon seit längerer Zeit zu meinen Lieblingsbands, nicht zuletzt, weil ich die Stimme von Sänger Stuart Nicholson mag. Nachdem man auf das Vorgängeralbum "Sleepers" ausgesprochen lange warten musste, kam "Following ghosts" doch recht zügig auf den Markt. Die erste offensichtliche Veränderung: mit Dean Baker bedient ein neuer Mann die Tasteninstrumente. Nach dem ersten Hördurchgang bleibt eine gehörige Portion Verwunderung zurück, denn neben den typischen Galahad-Merkmalen gibt es einige nachdrückliche Neuerungen im Galahad-Sound. Geblieben ist eine der großen Stärken von Galahad, nämlich die Fähigkeit, Gesangsmelodien und Arrangements mit Ohrwurmcharakter vorzulegen. Dass dies nicht notwendigerweise mit kommerziellem Pop-Rock gleichzusetzen ist, zeigt sich sehr gut auf FG. Bei kaum einer anderen Band ist mir derart deutlich aufgefallen, dass ich zu fast jedem Songtitel sofort die zugehörige Grundmelodie im Hinterkopf habe. Wer lediglich an permanenter Zurschaustellung technischer Glanztaten oder an komplexesten, schrägen Arrangements interessiert ist, wird dies vermutlich als Negativum einstufen und - unberechtigterweise - weiterblättern. Offensichtlich ist, dass das Hauptaugenmerk (oder Hauptohrenmerk??) auf Melodien gelegt wird. Songs mit klassischem Arrangement wie "Easier said than done", "A short reflection on two past lives" (mit Mellotronintro) oder "Perfection personified" haben durchaus Hitpotential, "Imago" glänzt durch eine Melodie, die sich zwangsläufig, ob man will oder nicht, in den Gehörgängen festsetzt. Hier, wie auch in diversen anderen Stücken, tritt Gastmusikerin Sarah Quilter auf, die mit ihrem Flöten- bzw. Klarinetteneinsatz zusätzliche Farbtupfer ins Spiel bringt und somit eine angenehme Bereicherung darstellt. Das darauffolgende "A short reflection on two past lives, part 1" ist ein wunderschönes Lied mit karger Instrumentierung: Akustikgitarre, Flöte, Akkordeon (synthetisiert) und Stu Nicholsons saubere Stimme. Im Eröffnungstitel "Myopia" geht es zunächst recht deftig zur Sache, um schließlich zum typischen Galahadsound zu gelangen, wobei hier ein leicht abgedrehtes Geigensolo im Folkrock-Stil eingebaut wurde. All diese Besonderheiten würde der gemeine Prog-Fan sicher widerstandslos hinnehmen, doch was dieses Album deutlich vom üblichen Brit-Prog abhebt, ist der nicht nur auf einige wenige Passagen beschränkte Ambient-Einfluss. Bestes Beispiel hierfür ist der 7-Minuten-Titel "Ocean blue", der mit Pink Floyd-artigem Keyboardintro beginnt, dann wird der Gesang über ambient-Basis gelegt - für mich ein neuartiges Hörerlebnis. Im nahtlosen Übergang folgt wieder ein mächtiges, breitflächiges Keyboardstück im Floyd-Stil. Im 14-Minuten-Song "Bug eye", für mich einer der Favoriten auf diesem abwechslungsreichen Album, werden Ambient- und Progelemente glänzend kombiniert. Dies hat mit dem üblichen Neo Prog britischer Prägung nur noch sehr wenig gemein. Klarer Fall: für den Prog-Fan ist FG eine Herausforderung. Es verwundert mich nicht, dass angeblich schon einige Exemplare an die gemeinhin bekannten Verkaufsquellen mit der Begründung "Techno-Kram" zurückgesandt wurden, eine ebenso eindimensionale wie falsche Sichtweise (mit Techno hat dies nichts zu tun). Alles in allem ein sehr gelungenes, sehr modernes Album, mit dem Galahad bewusst in Kauf nehmen, einige Fans, die bisher zur Stammkundschaft zählten, zu verlieren. Eines kann man ihnen ganz gewiss nicht vorwerfen: dass sie immer nur das gleiche machen. Dafür ein dicker Pluspunkt! Proggies, die nicht bereit sind, sich mit derartigen Neuerungen auseinanderzusetzen, können sich getrost anderen Alben zuwenden, wer aber wissen will, wie ein modernes, abwechslungsreiches Prog-Album Ende der 90er klingen kann, sollte sich Galahads neuestes Opus zu Gemüte führen. Gratulation für dieses schöne Album, auch wenn es im Prog-Kreis mit hoher Wahrscheinlichkeit auf sehr unterschiedliche Weise aufgenommen werden wird.

Jürgen Meurer



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