CD Kritik Progressive Newsletter Nr.16 (08/1997)
Brassé - Inferno
(53:03, LaBraD'or Records, 1997)
Informationen die man von Labels als Ergänzung zur CD bekommt, treiben manchmal eigenartige Stilblüten. Da wird auch mal der weibliche Gesang als sehr modern angepriesen, wobei ich beim Anhören dieser CD diese stilistische Leistung nicht entdecken konnte, und auch bis heute nicht weiß, wie denn sehr moderner Gesang klingen soll. Da sind die musikalischen Einflüsse doch schon griffiger. Angeblich sollen Ähnlichkeiten zu Pink Floyd, David Bowie, den Pet Shop Boys und Geoff Mann zu hören sein. Öha, das kann ja interessant werden! Bei "Dante's Inferno as performed by Brassé", wie der komplette Titel des Album heißt, handelt es sich um ein "wahres Konzeptalbum", wiederum ein Zitat aus dem Infoblatt. Ich möchte bloß mal wissen, wie sich ein Unwahres anhört. Es wird Bezug auf den italienischen, mittelalterlichen Schriftsteller Dante Alighieri und dessen Buch "Divina Comedia" genommen. Er beschreibt darin die Hölle aus der Sicht, wie sich die Menschen damals diesen Ort vorstellten. Okay, nette Idee - mal was anderes als die ewigen Geschichten von Zauberern, Zwergen und sonstigem Herr der Ringe-Kram. Doch bei der Musik hapert es gewaltig. Die Produktion stammt aus Holland, und orientiert sich leider am ehemals typischen SI Prog, sprich melodisch, voll hohlem Bombast, sehr synthetisch produziert, schlicht und einfach harmlos. Schuld daran ist zum einen der langweilig programmierte Drumcomputer und die stellenweise absolut ins Seichte abgleitenden Kompositionen. Zum Glück sind die Sangeskünste in Ordnung, und auch die Produktion professionell aufgezogen. So stimmt immerhin die Qualität. Sicherlich darf es ruhig mal nur schöne Harmonien mit hohem Melodieanteil geben, aber dann bitte mit etwas mehr Biß und origineller aufgezogen. Immerhin wird stellenweise ansprechendes Neo-Prog-Niveau mit hohem symphonischen Anteil erreicht, und hier greift auch der stimmliche Vergleich zu Geoff Mann. Wenn man aber aufgrund des vorgegebenen Themas das Terrain Dramatik und Theatralik betritt, wirkt die Sache lediglich ziemlich angestrengt und aufgesetzt. Wer, als es SI Holland noch gab, auch deren schlechtere Produktion gut fand (es gab nämlich wirklich auch einige sehr gute, z.B. Collage oder Cyan), der kann hier bedenkenlos zugreifen, ansonsten ist erhebliche Vorsicht geboten.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 1997