CD Kritik Progressive Newsletter Nr.16 (08/1997)
Visible Wind - Narcissus goes to the moon
(68:33, Pony Records, 1996)
Nach diversen Umbesetzungen und vierjähriger Pause seit der letzten Veröffentlichung "Emergence" legt nun die francokanadische Band Visible Wind mit "Narcissus goes to the moon" ihr mittlerweile viertes Album vor. Ein Konzeptalbum bei dem die Titel ohne jegliche Übergänge ineinander fließen, mit Material aus der Zeit von 1991 - 1996 (Anmerkung am Rande: auf der Japanpressung befindet sich zusätzlich noch eine Coverversion des Doors Klassikers "Strange days"). Das Erscheinen der CD schien unter keinem guten Stern zu stehen, denn nach etlichen Problemen mit der Plattenfirma erreichte die Veröffentlichung schon fast Dimensionen der deutschen Band Lorian. Visible Wind bieten auf ihrem neuesten Werk mehrere Überraschungen. Stilistisch hat man sich fast vollständig gewandelt, die Richtung heißt jetzt "Back to the roots". Bedeutet: als Grundlage wird massiv auf die 70er zurückgegriffen, ohne die ehemalig beherrschenden neo-progressiven Tendenzen zu leugnen. Schon beim instrumentalen Opener "A succulent anachronic pastiche" kracht der Rickenbecker Bass und die Gitarrenakkorde lassen Erinnerungen an "Perpetual change" von Yes aufkommen. Keyboarder und Sänger Stephen Geysens dominiert den Sound der Kanadier deutlich, ohne dass seine Bandkollegen sich zu verstecken brauchen. Zwar sind solistische Ausschweifungen fast schon Mangelware, dürfen aber Mellotron, Synthesizer, Gitarre oder Flöte mal in den Vordergrund treten, so sind diese Einlagen stets voller Einfallsreichtum. Gesungen wird übrigens, trotz francophiler Wurzeln, bis auf ein Lied ausschließlich in englisch. Das Konzept von Visible Wind, alte Sounds mit Breaks und Dramatik, sowie einprägsamen Melodien zu paaren, klingt frisch und neu, eindeutig die richtige Entscheidung in diese Richtung zu wechseln. Es darf auch mal eine Spur bissiger sein, ohne dass an ruhigen, akustischen Instrumentalteilen gespart wird, die eigentliche bisherige Stärke dieser Band. Es wabbert zwar manchmal auch etwas zu unbestimmt, denn auf 70 Minuten sind ein paar Längen unvermeidbar, doch im abschließenden 21-minütigen "The awakening" werden nochmals alle Trümpfe ausgespielt, womit dieser Song zum Kernstück des Konzeptalbums avanciert. "Narcissus goes to the moon" ist bisher das positivste Comeback des Jahres 1997. Sollten sich Visible Wind weiterhin für diese Richtung entscheiden, so ist für den Rest der progressiven Welt endlich mal wieder mit Konkurrenz aus Kanada zu rechnen.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 1997