CD Kritik Progressive Newsletter Nr.15 (06/1997)
New Trolls - Atomic system
(44:09, Vinyl Magic, 1973)
Das Graben in der Oldiekiste lohnt sich doch immer wieder, besonders wenn solche Kleinodien wie New Trolls "Atomic system" zu Tage treten. Das italienische Label Vinyl Magic nahm sich diesem Album an, und veröffentlichte letztes Jahr eines der hörenswertesten Alben aus der Hochzeit des Italo Progs. Die New Trolls zeichneten sich vor allem durch massiven Einsatz diverser Tasteninstrumente aus: es moogt, mellotront, hammond und synthesizt manchmal so schön, dass es eine wahre Freude ist. Da wird sich bei den britischen Meistern wie vor allem dem temporeichen, klassischen Bombast von ELP, ein bisschen Atmosphäre von Genesis oder Jethro Tullige Flöteneinsätze bedient, doch trotzdem klingt nicht nur wegen des in Landessprache gehaltenen Gesanges, die mediterrane Gefühlswelt durch. Britisches Sound-Konfetti prallt auf mediterranen Melodienschmelz, ohne dass die Klänge langweilig oder gar peinlich wirken. Kurz gehaltene Ausflüge in den Jazz- oder auch Popbereich sorgen nur im Augenblick für Überraschung und Erstaunen, denn sehr schnell wird man wieder von fein gesponnenen Melodien und verschachteltem Bombast gefangen. Neben den Tasten, darf auch mal die Gitarre solistisch heulen, ein rumpelndes Bass-Solo sorgt ebenfalls für Überraschung. Trotz melodiösem Grundgerüst ist die Musik der New Trolls sehr abwechslungsreich, und wirkt nie langweilig. Der Gesang von Vittori De Scalzi ist von Pathos geprägt, doch schlägt auch schon mal der Schlagerschmalz durch, gerade dann, wenn die beiden Hintergrund-Chanteusen Anna und Giulietta wirklich alles aus ihren Stimmen herausholen. Bei jedem Grand Prix de la Chanson würden sie die Konkurrenz in Grund und Boden singen. Fühlt sich das Ohr auf dem einmal eingeschlagenen Pfad scheinbar sicher, so folgt ein kurzes Intermezzo am Piano, der Bombastfaktor wird erhöht, und flugs befindet man sich wieder in progressiven Gefilden. Da fehlt es selbst nicht an einer dramatische Klassikinterpretation von Mussorgski, ganz im Fahrwasser von ELP.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 1997