CD Kritik Progressive Newsletter Nr.15 (06/1997)

Magellan - Test of wills
(55:20, Magna Carta, 1997)

Seit dem 5.Mai, dem offiziellen Veröffentlichungstermin, habe ich tagelang die Plattenläden belagert, um endlich an das neue Werk einer meiner Lieblingsbands zu kommen. dass ich, nachdem ich's schließlich in Händen gehalten habe, die Scheibe nicht mal vorher angehört habe, was ich sonst mittlerweile bei fast allen CDs im Laden mache, will bei mir schon was heißen. Nach einer rasanten Heimfahrt, die mir bei etwas stärkerer Polizeipräsenz sicherlich einen Strafzettel eingebracht hätte, dann schnell das Ding im CD-Spieler versenkt, und gespannt gewartet... Nach einem kleinen eingespielten Laberintro geht es endlich wieder los, und ich weiß, was ich vier lange Jahre seit der "Impending ascencion" vermisst habe - harte Schrubbgitarre, Bombast pur, (hoch)komplexe Liedstrukturen, hervorragende yes-ige Gesangsharmonien, sprich der typische Magellan-Sound. "Gameface" ist da noch nicht mal ein ganz typischer Magellan-Song, da es relativ eingängig und rockig ist, trotzdem aber die oben genannten Zutaten beileibe nicht vermissen lässt. Beim zweiten Track "Social marginal" muss ich leider erst ein einminütiges Drumsolo über mich ergehen lassen. Ich glaube Ihr wisst mittlerweile, was ich von Drumsoli halte, egal von welcher Gruppe. Das ist wohl als kleines Einstiegssolo des neuen Bandmitglieds Brad Kaiser zu verstehen, der den bisherigen Drumcomputer ablöst, was der Akzeptanz der Musik zuträglich sein dürfte, da man sich ja öfters über Drumcomputer mokiert. Bei Magellan hat es mir aber noch nie etwas ausgemacht, da das synthetische Schlagzeug sehr gut programmiert eingesetzt wurde. Trotzdem ist natürlich ein Schlagzeuger aus Fleisch und Blut immer besser, da es echter, variabler und weicher klingt. Und Brad Kaiser ist ein guter dazu. Dies ist aber nicht der einzige Wechsel, denn Hal Stringfellow Imbrie legte seinen Bass nieder, und ist nicht mehr dabei. Aus welchen Gründen ist noch nicht geklärt. Nach dem erwähnten Getrommel entwickelt sich das Lied dann aber zu einem kleinen Juwel mit gutem Gesang, kurzen Gitarrenriffs und immer präsenten Keyboards. Diese, vom Kapitän Trent Gardner gespielten Tasteninstrumente, der das Magellan-Schiff praktisch allein navigiert, und den Kurs durch die stürmische See des Prog Metals festlegt, während die anderen Crewmitglieder (u.a. sein Bruder Wayne an Gitarre und Bass) fast ausschließlich handwerkliche Arbeit leisten, diese Keyboards sind zwar wie gesagt immer da, und tragen auch entscheidend zum Gesamteindruck der Musik bei, trotzdem sind Soli Fehlanzeige. Trent Gardner spielt sich nicht in den Vordergrund, sondern achtet bei allen Kompositionen darauf, dass der Instrumenteneinsatz immer ausgewogen ist. Hier muss sich auch wirklich keiner durch Kabinettstückchen profilieren, da man schnell merkt, dass hier Könner am Werk sind. Das darauffolgende "Walk fast, look worried" beginnt ruhig, begrüßt einen mit einer schönen akustischen Gitarre, was für die Gruppe eher ungewöhnlich ist. Langsam steigert sich das Lied dann, alle anderen Instrumente kommen dazu, um dann wieder auszuklingen. Ganz anders das 11-minütige Titellied "Test of wills". Hier bekommt man gleich ab den ersten Sekunden eine volle Breitseite Bombast ab, die reichen würde, um eine ganze Neo-Prog-Flottille zu versenken. Von kleinen ruhigen Passagen abgesehen, steht das ganze Stück unter Starkstrom. Um den einfachen Refrain herum, der nur aus zwei Heavyriffs besteht, spinnen sich immer mehr komplexe Teile, der Track wird mit der Zeit immer besser und variantenreicher - das ist Magellan at it's best. Dieser von allen Instrumenten getragene Bombast erzeugt ein Volumen und eine Druckwelle, mit der man sicher locker die Haare föhnen könnte. Dann erscheint da auf einmal noch, man höre und staune, eine Posaune, die auch den Großteil des restlichen Stückes als Soloinstrument bestreitet, unterlegt von sich wiederholenden aggressiven Gitarrenriffs. Wer nun aber denkt, dass das wohl eher bescheiden klingt, und so ein Blechbläser im Prog nichts verloren hätte, täuscht sich in diesem Fall total. Ich bin ja sonst auch kein Freund solcher Experimente, aber das passt wirklich gut und ist stimmig. Dies ist damit wieder einer der Longtracks, die das Zeug zum Magellan-Klassiker haben, wie z.B. "Magna Carta". "Bully Pulpit (Part I)", ein Zwei-Minuten-Stückchen, lässt mich dagegen fragend zurück - was soll das? Etwas Gitarrenschrubb, der wie aus dem Radio kommend klingt, das war's. Die vier Minuten "Jacko", das recht ruhig ist, und fast ausschließlich vom Piano mit Gesang getragen wird, sind mir als Hard-Core-Magellan-Süchtiger etwas zu ruhig. Doch nach diesen etwas enttäuschenden insgesamt 6 Minuten geht dann bis zum Schluss wieder voll die Post ab. Mit "Crucible" und "Preaching the converted" noch zwei sehr gute Stücke mittlerer Länge, wobei das letztere sich erst nach mehrmaligem Hören, dann aber sehr tief, in die Gehörgänge bohrt. Ähnlich wie Rush's "Mystic rythmns" wird der Unterbau vom Schlagzeug gestellt, sonst ist nur noch Gesang und Keyboards dabei. Da könnte man sogar richtig gut darauf abtanzen. Bei dem breakdurchtränkten, abwechslungsreichen und sehr komplexen "Critic's carnival" geben die drei auf 9 Minuten dann zum Schluss noch mal alles, so als ob sie, wie es der Titel auch nahe legen könnte, ihre Kritiker noch einmal musikalisch ärgern wollten. Da taucht dann sogar noch eine sehr Ian Anderson-mäßige Flöte ab und zu auf, mit original hektischem Reingespucke. Ich freue mich jetzt schon auf andere Kritiken, in denen das sicher dann als Jethro Tull-ähnliches Stück (völlig falsch) beschrieben wird. Vergesst das, eine Flöte macht noch kein Jethro Tull. Es war sicher kaum zu überhören, dass ich diese Band, genau wie das Album, einfach genial finde. Allen Kritikern, und es gibt ja viele, die immer behaupten, die Musik sein komplex und konstruiert kann ich nur lapidar entgegnen - stimmt! Aber diese Kombination, das Schwimmen in komplexem, harten Bombast bekomme ich so nur hier geboten. Es gibt viele Prog Metal-Combos, aber nur ein Magellan.

El Supremo



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