CD Kritik Progressive Newsletter Nr.12 (01/1997)
The Verve - A northern soul
(64:09, Hut Records, 1995)
Und so begab sich folgendes, schwerwiegendes Ereignis, eines Freitag abends um ca. 2Uhur, als ich nach dem Nachhausekommen noch unbedingt die Glotze anschmeißen musste. Auf einmal befand ich mich im dritten Programm des Hessischen Rundfunks und auf der Mattscheibe tummelten sich wild zuckende Personen, die mit geschlossenen Augen ihre Köpfe kreisen ließen. Es handelte sich dabei aber nicht um einen der diversen minderwertigen Filme, die sonst zu nachtschlafender Zeit durch die Kanäle rauschen, sondern vielmehr um den Konzertmitschnitt einer noch recht jungen Band. Der Krach von der Bühne versprühte eine ausgelassen Unbekümmertheit und strahlte schon beim ersten Hören eine bleibende Faszination aus. Im Abspann wurde der Name dieser Combo verraten, die ich mir vorsichtshalber mal auf einem Zettel notierte. Einige Monate später, beim Stöbern in den Regalen eines großen HiFi-Geschäfts, hielt ich auf einmal eine CD jener Band in den Händen. Erste Bedenken, dass ein Preis von 18,95 DM für ein recht aktuelles Album doch sehr verdächtig sein, wurden kurzerhand begraben und so wurde sich dieser Tonträger gleich zugelegt. Als Vorgriff auf den Inhalt nur so viel: es hat sich gelohnt! Aber genug der Vorgeschichte, was ist nun an The Verve besonderes dran? Im ersten Augenblick nicht viel, denn es handelt sich um sehr psychedelisch geprägten Gitarrenrock. Bei Sänger Richard Ashcroft meint man im ersten Moment Bono von U2 zu hören, doch entwickelt er im dröhnenden Gitarrengewitter sein eigenes Profil. Die Musik erzeugt auch im konservierten Zustand die Wirkung, die es bei der Liveumsetzung im Fernsehen bot. Verzerrte, scheppernde Akkorde, werden von stampfenden, monotonen Rhythmen stetig vorangetrieben. Doch immer in den Augenblicken, wo man denkt, jetzt wird es zu viel, streut die Band gekonnt einen Schuss Melancholie bei und einige wunderschöne, verträumte Balladen sorgen für Abwechslung. Diese Teile sind es auch, die einen Vergleich zu Landberk zulassen. Nicht unbedingt in musikalischer Hinsicht, sondern vielmehr von der traurigen Stimmung. Stilles Highlight ist dann auch die Ballade "Drive you home" und das von einem Streichquartett untermalte "History", welches verträumte Klänge bietet. Auf der anderen Seite stehen hypnotische Klänge, die von der Band kompakt und rau gespielt werden und ebenfalls für Wohlgefallen sorgen. Und was ist die Moral dieses kurzen, modernen Märchens? Wunder geschehen immer wieder und nicht alles was an Musik im Fernsehen läuft, ist immer schlecht.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 1997