CD Kritik Progressive Newsletter Nr.11 (11/1996)
Deus Ex Machina - Diacronie metronomiche
(69:51, Kaliphonia, 1996)
Was mir in den letzten Jahren immer aufgefallen ist, dass man mit der Zeit (bzw. mit den Jahren), wenn man seiner Prog Sucht frönt, so viel Gruppen hört und Erfahrungen macht, dass man wirklich langsam "abgehärtet" wird, und es immer höhere Dosen braucht, um einen wirklich abzuschrecken. Dies gilt insbesondere für uns Schreiberlinge der Prog Zunft. Immer wieder kommt es so vor, dass Bands CDs herausbringen, von deren früheren Ergüssen man einfach nur schockiert war, jetzt das Ganze aber halb so wild bzw. sogar gut findet. So über die Jahre geschehen z.B. bei Echolyn (der aufmerksame Leser weiß, eine meiner Leib- und Magengruppen), deren frühe CDs mir damals nicht so zusagten. Seit der "As the world" hat dann aber der Blitz eingeschlagen und Leuten, die diese Musik als zu komplex bezeichnen, begegne ich nur noch kopfschüttelnd. Beispiel 2: Deus Ex Machina. Da ich früher deren Scheiben mit Kommentaren wie "Was ist denn das für Chaos?" quittierte, ahnte ich auch Schlimmes, als diese neue Live CD ankam. Doch um die Spannung, wie diese wahnwitzige Konfrontation nun wirklich ausging, nicht ins Unendliche steigen zu lassen, sage ich euch gleich jetzt, dass ich mich da total geirrt hatte, bzw. in diem Fall mein Fell in letzter Zeit auch dicker geworden ist. Langer Rede kurzer Sinn - eine hervorragende CD! Wer die Band von früheren Alben her kannte und sie bis dahin nicht gut fand, wird's jetzt wahrscheinlich auch nicht tun, denn der Stil ist an sich gleich geblieben. Nur versprüht die Live CD wesentlich mehr Kraft und ist so sicher eine Steigerung im Vergleich zu den Studio CDs. Wie die oben angesprochenen Echolyn, so haben auch Deus einen sehr eigenständigen oder sogar eigenwilligen Stil entwickelt. Als erstes gibt der sehr gute Sänger seinen Text in Latein zum Besten, was auch nicht oft vorkommt. Er hat eine kräftige Stimme und beherrscht alle Tonlagen (als Vergleich: Ex-Sänger von Calliope), also endlich mal nichts am Sänger rumzumäkeln. Das Latein klingt übrigens gar nicht schlecht, als Nichtlateiner meint man oft italienisch zu hören. Dann die Band, die außer der sporadisch auftauchenden Geige, mit den klassischen Prog Instrumenten Gitarre, Bass, Keyboards und Drums ausgerüstet ist. Auf einzelne Instrumente einzugehen macht hier kaum Sinn, da alle Musiker es absolut drauf haben und selbst die komplexesten Studiotitel einwandfrei auf die Bühne gezaubert haben. Wäre da noch das eigentlich interessante - der Stil. Eine gute Mischung aus einigen ruhigen Teilen und vielen total fetzigen Passagen. Dann geht's allgemein recht vertrackt und komplex zu, oft auch dissonant und abgedreht, selten auch leicht jazzig. Als ganz vagen Anhaltspunkt sage ich jetzt mal eine Legierung aus 40% Calliope (die alten) und je 30% Gentle Giant und King Crimson. Die Lieder schwanken zwischen 2-4 bzw. und 5-10 Minuten. Es kommen zwei 2-Minuten Tracks vor, in denen nur akustische Gitarre und Geige vor sich hin spielen, was mich zwar gähnen lässt, für Freunde ruhiger akustischer Musik sicher aber ganz gut kommt. Dann sind da noch zwei "Gagsongs", sag ich mal, die jeweils maximal eine Minute erreichen und in denen einerseits nur metal-mäßig geschrieen und gegrunzt wird zu einem Krach im Hintergrund und andererseits es nur einen Dialog zwischen Sänger und einem weiteren diabolisch lachenden Bandmitglied über Bruckner und den Geburtstag von Bruce Lee (geschrieben "Brus li") zu hören gibt. Zwar schwachsinnig, aber witzig und da sehr kurz auch o.k. Da die Soundqualität auch sehr gut ist, das Publikum scheint's einigermaßen groß und begeisterungsfähig war, und man mit ca. 70 Minuten Livemusik einen sehr guten Überblick über das Schaffen der Gruppe bekommt, ist diese CD eine wirklich Empfehlung für alle Kenner und sonstigen Freunde anspruchsvollen Progs. Also, unbedingt antesten. Alle harmoniebedürftigen Leser bitte gleich vergessen.
El Supremo
© Progressive Newsletter 1996