CD Kritik Progressive Newsletter Nr.10 (09/1996)

Tea In The Sahara - Boomerang
(58:54, WMMS, 1996)

Ein Kompliment gleich vorweg. Tea In The Sahara haben das geschafft, was viele Gruppen verzweifelt versuchen, sie klingen absolut eigenständig. Vergleiche zu finden fällt wirklich schwer und so etwas spricht immer für eine Gruppe. Das Quartet aus dem Großraum Stuttgart hat auf seiner zweiten CD den eigenen Stil noch mehr verfeinert und perfektioniert. Musikalisch vielschichtig, produktionstechnisch gelungen, lässt allein der eigenwillige Gesang unterschwellige Kritik aufkommen. Aber egal, was zählt ist die vorhandene Qualität. Hätten doch bloß mehr progressive Produktionen aus Deutschland dieses professionelle Niveau! Beachtung verdienen vor allem die abwechslungsreichen und ausgefeilten Arrangements, bei denen man selbst nach mehrmaligen Hören immer wieder Überraschendes zu hören bekommt und sich deswegen absolut keine Langeweile einstellt. Die Bandbreite bewegt sich deutlich vom üblichen Prog-Einerlei weg. Hier wird auf vielerlei Stile zurückgegriffen, die eine Einordnung in nur eine Schublade unmöglich machen. Ambitioniert wird Rock, jazz, Klassik und selbstverständlich progressive Elemente (Breaks, Stilwechsel, sinfonische Melodien) zu einer Mixtur voller Wendungen verbunden. Wuchtige Passagen aus Keyboardgewittern und exakte Gitarreneinsätze wechseln ab mit balladesker Melancholie. Ein Instrument besonders herauszuheben fällt schwer, weil jedes für sich sein Teil zum ausgewogenen Klangbild beiträgt. Seien es nun die Gitarristen Jörg Baumann und Frank Müller, die sowohl elektrisch, als auch akustisch Schwerpunkte setzen, der Bass von Bob Kachler, der unauffällige, aber sehr gute Schlagzeuger Jörg Bielfeldt, wie letztendlich auch Keyboarder und Sänger Oliver Kauffmann. Von der ersten bis letzten Minute kommt "Boomerang" fast ohne Durchhänger durch, wobei einige Passagen absolute Klasse sind, andere wiederum nicht immer ganz meinen Geschmack treffen. Letzte Zweifler werden jedoch entweder durch das die CD beendende 14½ minütige "A lamentation of a scapegrace" überzeugt oder können wirklich mit dieser stilistischen Mixtur nichts anfangen. Tja, wem sei nun Tea In The Sahara empfohlen? Zum einen natürlich denen, die sich durch diese positive Kritik angesprochen fühlen und endlich mal Musik jenseits des allgegenwärtigen deutschen Marillion-Neo-Prog-Sumpfs hören möchten, sowie alle, die mal wissen wollen, was meiner Ansicht nach die vielzitierte sogenannte anspruchsvolle Rockmusik wirklich bedeutet.

Kristian Selm



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