Carl Palmer ist vor allem durch sein Mitwirken bei Emerson, Lake & Palmer und Asia zu einem der bekanntesten Schlagzeuger der Prog-Szene geworden. Seit fast 15 Jahren ist er mit seiner eigenen Band unterwegs, die nach dem Ableben seiner beiden ELP-Kollegen Keith Emerson und Greg Lake im Jahr 2016 den Namen Carl Palmer’s ELP Legacy erhielt. So auch an diesem Dienstag beim Konzert der von BetreutesProggen.de gerne präsentierten Tour in der gut gefüllten Harmonie zu Bonn.
Als klassisches Rocktrio mit Paul Bielatowicz an der Gitarre und Simon Fitzpatrick am Bass und dem Chapman Stick stehen vor allem Stücke von ELP auf dem Programm, allerdings wurde das Set der Band in den letzten Jahren um andere Stücke erweitert, teils aus dem Umfeld von ELP, teils dem Konzept von ELP folgend. Letzteres bedeutet, klassische Stücke zu adaptieren und im Rockgewand zu präsentieren. Dabei geht das Trio größtenteils rein instrumental vor.
Hinzu kommt, dass die bei ELP so prominente und wichtige Rolle der Keyboards hier von Gitarre und Bass übernommen werden, was die Musik in ein anderes Licht rückt und sie auf eine neue Art und Weise zugänglich macht. Auch wenn die Band seit Jahren – mit wechselnder Besetzung – schier endlos auf Tour ist, ergeben sich dennoch immer wieder leichte Veränderungen in den Versionen der Stücke.
Roh und ungestüm startet das Trio mit ‘Peter Gunn’, einem Stück von Henry Mancini, das in den späten 1970er-Jahren von ELP live gespielt wurde und schon damals als Opener fungierte. Nach dem Stück erläuterte Palmer in der ersten der an diesem Abend zahlreichen Ansagen das Konzept der Show und bat für ein paar Stücke an diesem Abend einen an Kiss erinnernden Sänger auf die Bühne, nämlich Lino Vairetti, den der betreuende Kollege Sal noch im Konzert als Sänger der italienischen Band Osanna ausmachte.
Als das zweite Stück des Abends – ‘Karn Evil 9, 1st Impression (Part 2)’ – mit den berühmten Zeilen “welcome back my friends to the show that never ends” anfing, machte sich im Publikum vereinzelt Unmut breit. Betreuer-Beirat Uwe brachte es mit seiner Feststellung auf den Punkt: Wer vor einigen Tagen eine andere Sicht auf die Musik von ELP am gleichen Ort (der Harmonie in Bonn) und mit unheimlich gutem Gesang erleben durfte, wurde hier negativ überrascht. Vairettis Gesang passte weder von der Qualität, noch von der Sprache her zu der Musik von ELP und wirkte “out of place”, wie Sal später kommentieren sollte. Neben der sehr gut aufspielenden Band wirkte der Sänger tatsächlich völlig unpassend, was sich leider auch beim dritten Stück des Abends, ‘Knife Edge’, nicht besserte.
Weiter ging es wieder zu dritt mit ‘Trilogy’, einem der schönsten, aber fast nie live gespielten ELP-Stücke. Dieser wechselhaften Ballade drückt das Trio gekonnt seinen Stempel auf und lässt es als musikalischen Dialog zwischen Gitarre und Bass beginnen, um danach in die Vollen zu gehen. Dies war ohne Zweifel der erste Höhepunkt des Abends und musikalisch erste Klasse. Als mehr oder weniger ruhiges Zwischenspiel durfte Simon Fitzpatrick am Stick zeigen, was er kann. Im Duo mit Palmer teilte er ‘From The Beginning’ in zwei Teile und packte den ‘Maple Leaf Rag’ dazwischen, anders als bei ELP mit Schlagzeug untermalt. Es ist sehr schade, dass es an diesem Abend keine weiteren Stick-Ausflüge dieser Art mehr gab, weil sie der Musik von ELP einen neuen Anstrich geben, den Bielatowicz‘ Gitarrenkünste nicht ganz erreichen können.
Es folgte eine von der Band Sky inspirierte, aber von ELP nie ganz verwirklichte Klassikadaption, nämlich Bachs ‘Toccata und Fuge in d-Moll’. Palmers Band führt mit diesem Stück im Grunde das aus, was ELP unter anderem auszeichnete: klassische Stücke in die Moderne zu führen, ohne ihren musikalischen Gehalt zu verlieren. Kurios war das nächste Stück, welches von Palmer als das erste von ELP geprobte und gespielte Stück angekündigt wurde: King Crimsons ’21st Century Schizoid Man’ – schließlich war Greg Lake der Sänger und Bassist des ersten Line-ups dieser Band und sang beim Original auch. Das Trio arbeitete sich sehr gut durch diesen Klassiker, wenn auch der Vocoder(!)-Gesang von Bielatowicz etwas zu dünn war. Es folgte sein Gitarrensolo, u.a. mit Beethovens ‘Mondscheinsonate’ (wie passend in Bonn) und Débussys ‘Clair de Lune’. Er spielte zwar – wenn auch auf eine leicht trumpeske Art mimisch herausfordernd – sehr schön, aber das Publikum wurde zum Ende des langen Solos dennoch leider unruhig, was in einer eher kleinen Stätte wie der Harmonie leider sofort deutlich hörbar ist. Das Trio konterte jedoch mit dem kräftigen ‘Hoedown’, einem von ELP verrockten Stück des amerikanischen Komponisten Aaron Copland. Zum folgenden ‘Lucky Man’ wurde wieder Lino Vairetti auf die Bühne geholt, aber er sang bei diesem Lied besser als zuvor. Emersons bekanntes Moog-Solo wurde hierbei von Fitzpatrick am Stick mit einem Synth-Sound übernommen.
Zwei weitere Höhepunkte bildeten das Finale des Abends: der bekannte ‘Rondo’-Rhythmus krachte los, aber das Trio spielte darüber Orffs ‘O Fortuna’, bevor als Intermezzo Emersons ‘Rondo’-Thema doch noch eingestreut wurde. Ein weiteres Copland-Stück gab Palmer dann den Raum für sein ausgedehntes Solo: ‘Fanfare for the Common Man’. Dieser unzerstörbare Rhythmus funktioniert auch mit Gitarre und Bass sehr gut, aber Palmers Solo war schlichtweg überragend. Wie der Hauptbetreuer Klaus nach dem Konzert feststellte: Palmers Fähigkeiten sind nach all den Jahren nicht weniger geworden, sondern haben sich stellenweise noch verfeinert. Gerade sein Spiel an den Becken ist sein Markenzeichen, sein “signature sound”, auch wenn er an den Fellen ebenfalls völlig eigenständig unterwegs ist und dort Fills spielt, wo andere Schlagzeuger schon genug mit dem eigentlichen Rhythmus beschäftigt sind. Selbst einem für seine Verhältnisse so kleinen Kit entlockt er Rhythmen und Klänge, die einfach beeindruckend sind.
Das auf Tschaikowskis ‘Nussknacker’ basierende ‘Nutrocker’ als Zugabe ist ein unverwüstlicher ELP-Klassiker und wurde mit viel Dampf gespielt, weswegen das Publikum nach einer weiteren Zugabe lechzte, aber leider war danach schon Schluss. Das Konzert wirkte deswegen trotz etwa 110 Minuten Spieldauer gefühlt recht kurz, auch, weil die Band noch ein paar Stücke auf Lager gehabt hätte. Dennoch zeigte Carl Palmer mit seiner ELP Legacy in großartiger Gänze das, was der Name verspricht: das Vermächtnis der drei Herren wird von Palmer nicht nur gepflegt, sondern zum Teil auch weitergedacht.
Was allerdings verwundert, ist das hohe Maß an Spielfreude dieser eingespielten Band im Gegensatz zu einer gewissen Unruhe und Unausgeglichenheit, was zum Teil auf die unausgewogene Soundabmischung zurückzuführen ist. Die Gitarre klang ab und an zu dünn, der Stick war klanglich kräftiger als der manchmal zu leise Bass, einzig Palmers Schlagzeug war durch und durch präsent und wuchtig. Als schräges Element ist Vairettis Gesang zu sehen, der einfach nicht ins Konzept passt. Dennoch war das Konzert gut, weil es weitaus mehr eine frische Retrospektive großartiger Musik anstatt simpler Nostalgie darstellte.
Surftipps zu Carl Palmer’s ELP Legacy:
Homepage Carl Palmer
Homepage Simon Fitzpatrick
Homepage Osanna
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Twitter Carl Palmer
Spotify ELP Legacy
YouTube (Tony Ortiz)
Rezension “Carl Palmer’s ELP Legacy – Live (2018)”
Wikipedia Carl Palmer
Wikipedia ELP
Progarchives
Carl Palmers Kunst
Drummerworld
Live-Fotos: Klaus Reckert
3 Kommentare
Sehr präzise und treffende Rezension. Wolfgang Merx findet genau die Worte, die mir fehlten, nachdem ich das Konzert gesehen hatte.
Ein Oldie wie ich, der ELP schon 1973 in Köln und dann nochmal 1992 ebenfalls in Köln gesehen hat, war von dem Konzert in der Harmonie mehr als angetan. Palmer ist wie guter, alter Wein: Einfach klasse. Trilogy, eines meiner Lieblingsstücke von ELP, hat mich stark beeindruckt. Ein sichtlich gut gelaunter Carl Palmer hat vollends überzeugt. Mit 69 Jahren immer noch Spitzenklasse.
Vielen Dank für den ausführlichen Konzertbericht – seit dem Kayak-Konzert in Dortmund mit max. 50 Zuhörern weiß ich es zu schätzen, wenn Menschen sich die Mühe machen, eine fundierte Rezension zu verfassen (letzte Woche durfte ich übrigens Kayak im ausverkauften Saal in Groningen genießen …). Ich hatte bereits den Beitrag im Bonner General-Anzeiger gelesen, dort allerdings die Verweisung auf die Superband Asia – waren vor ein paar Jahren ja im Brückenforum – vermisst; auch im Hinblick auf John Wetton, den Asia-Sänger und Bassisten von King Crimson, der uns vor gut zwei Jahren verlassen hat.
Bei Fanfare for the common man denke ich immer noch ungläubig an ein WDR4-Radiokonzert von The Sweet. Diese haben letztes Jahr im WDR-Funkhaus gespielt und den meiner Meinung nach besten Sweet-Song “Love is like Oxygen” mit dem ELP-Klassiker ‘angereichert’ – und das wirklich großartig: der Brückenschlag vom Symphonic Rock zum Glam Rock!