»Idole sehen, so lange sie lebendig sind«, dieser etwas pietätlose Vorsatz steht auf meiner Agenda, nachdem in den letzten Jahren einige meiner größten Jugendhelden verstorben sind (John Wetton, Greg Lake, David Bowie), ohne dass ich sie jemals live gesehen hätte. Drum wohlgemut auf nach Bonn zu Soft Machine. Die gehören zu den ältesten Formationen der Szene. 2018 feierten sie mit einer Welttournee ihr 50-jähriges Jubiläum als „recording artist“, soll heißen: Vor 50 Jahren, im Dezember 1968, erschien das erste Album von The Soft Machine.
Freilich: Von der damaligen Besetzung (z.B. Robert Wyatt) ist schon lange keiner mehr an Bord. Von Anfang an war Soft Machine eine Band im steten Wandel, sowohl musikalisch als auch personell: Kaum eine andere Gruppe im Sektor hat mehr Umbesetzungen mitgemacht als Soft Machine. Die Band war in ihrer ersten Phase von 1968 bis ca. 1981 aktiv und verschliss dabei über 20 Musiker. 1999 reformierten Ehemalige die Band zunächst als „Soft Ware“, dann als „Soft Works“ und schließlich ab 2004 als „The Soft Machine Legacy“. 2016 beschloss die Band das angehängte „Legacy“ wegzulassen und firmiert seither wieder unter dem traditionsreichen Namen.
Seit 2009 ist dabei die Besetzung der Band ungewöhnlich stabil: John Etheridge (Gitarre), Roy Babbington (Bass) und John Marshall (Drums) bilden die (starke) Verbindung zur ersten Phase der Band. Die drei waren allesamt in den Siebzigern zwischenzeitlich feste Mitglieder der Band. Theo Travis (Flöte, Gitarre, Keyboards) ist der relative Newcomer in der Besetzung. Er stieß nach dem Tod von Ur-Saxophonist Elton Dean 2006 zur Formation. Zweifelsohne: In dieser Soft Machine-Besetzung steckt eine Menge Wissen und Geist der alten Band.
Aber wie spielt eine Combo, die zum Großteil aus Ü-70-Musikern besteht? (Theo Travis mit seinen schlappen 54 Jahren ist das Küken der Band). Mit einem Wort: Furios. Ich erinnere mich noch gut an die ersten Kritiken, die zu den ersten Live-Alben von Soft Machine Legacy erschienen und die alle eine gewisse gediegene Altherren-Attitüde herauszuhören glaubten. Falls dem jemals so war, dann hat die Band 2018 ihre Komfortzone eindeutig verlassen.
Der Gig in der überraschend gut besuchten Harmonie geriet von der ersten Nummer an energiegeladen. Die vier Herren im gehobenen Alter spielten mit bemerkenswerter Schnelligkeit und Flüssigkeit hals-, pardon, fingerbrecherische Fusion-Passagen der Extraklasse. Die Rhythmus-Sektion Babbington/Marshall groovte nicht wenig und formte einen komplexen, selbstbewussten Hintergrund für die Solo-Ausflüge von Travis und Etheridge. Überhaupt, John Etheridge. Und wer hätte gedacht, dass Progger so viel Selbstironie und Humor haben können? Der Gitarrist führte ausgesprochen launig mit Ansagen und Anekdoten aus der Soft-Machine-Historie durch eine Setlist, die sich zu etwa gleichen Teilen aus Titeln des aktuellen Albums „Hidden Details“ und klassischen Soft-Machine-Gassenhauern (sic!) zusammensetzte, etwa ‘Out Bloody Rageous’ (aus dem Album „Third“), ‘Kings and Queens’ („Fourth“), ‘The Man Who Waved at Trains’ („Bundles“) und ‘The Tale of Taliesin’ („Softs“). Etheridge, zumindest auf der Bühne der klare Leader der Band (auch wenn er eher schüchtern links saß bzw. stand), erzählte hanebüchene Geschichten über den armen Roy Babbington, der sich ohne Mikro nicht gegen die Behauptungen (14 Kinder von drei verschiedenen Frauen, blonde, glatte Haare, die Mitte der 1970er bis zu den Knie reichten) wehren konnte. Das Publikum goutierte diese humorvollen Ausflüge mit lautem Gelächter. Armer Roy!
Noch besser als die Witze über den Bassisten kamen allerdings die ausgedehnten improvisierten Solo-Passagen an, die Etheridge und Travis, zwischenzeitlich auch Babbington und Marshall, zelebrierten. In diesen freien Momenten der ansonsten strukturierten Kompositionen versprühte die Band eine zwischenzeitlich geradezu unglaubliche Energie. Wenn man die Augen schloss, mochte man wirklich nicht glauben, dass auf der Bühne weit über 260 Jahre Lebenserfahrung standen. Dabei war, bei aller Virtuosität der einzelnen Protagonisten, die Band eine musikalische Einheit. Man musizierte miteinander, achtete auf die anderen, reagierte, schaute, hörte hin, ging mit, nahm sich zurück.
Nach fast zwei Stunden (inklusive einer viertelstündigen Pause in der Mitte des Sets) und zwei Zugaben bedankte sich das Publikum mit frenetischem Applaus. Die Band strahlte und war sichtlich zufrieden mit diesem letzten Gig des Jahres der Welttournee. Die Band signierte nach dem Konzert bereitwillig CDs, Konzertkarten und Vinylalben.
Soft Machine setzen 2019 die Welttournee mit einigen Daten in den Vereinigten Staaten fort. Höhepunkt wird dabei ihr Auftritt bei der „Cruise to the Edge“ Anfang Februar sein. Ob sie anschließend noch einmal durch Europa touren werden, ist bisher unbekannt. In dieser Spiellaune gehören Soft Machine nach wie vor zur Champions League der progressive Canterbury- und Fusion-Bands.
Surftipps zu Soft Machine:
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John-Etheridge.com
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Bandcamp (Moonjune)
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Cuneiform
Wikipedia
Live-Fotos: Klaus Reckert