Getreu dem Motto „Same procedure as every year“ machte sich traditionsgemäß die Abordnung der Betreuten Progger auf den Weg ins Nachbarland, genauer gesagt ins wunderschöne Delft. Spürbare Unterschiede zu den letztjährigen Festivals gab es weder an der Qualität des zu erwartenden Line-ups noch an der Freude und der guten Laune auf gemeinsame Erlebnisse. Einzig die winterlichen Temperaturen ließen zur Einstimmung ein gewisses Maß an Unterkühlung aufkommen und führten gleich bei der Hotelankunft zur leichten Kältestarre.
Einen richtigen Musikliebhaber kann so etwas natürlich nicht beirren, dafür überwog die Vorfreude auf die vom Cultuurpodium De Boerderij präsentierte siebte Auflage des Progdreams Festival zu sehr. Analog zu den vergangenen Jahren war es dem Veranstalter für das dreitägige Event gelungen, eine hochkarätige Besetzung für die von Nah und Fern heran geeilten Fans zusammenzustellen. Mit folgender Besetzung startete der erste Festivaltag: Golden Caves (NL), Bent Knee (USA) und Blind Ego (D). Die Erstgenannten hatten es als Opener und Anheizer natürlich etwas schwer, die Fans aus dem frostigen Zustand aufzutauen. Allerdings machte die junge Band ihre Sache ganz gut und wusste mit einem Mix aus Alternative Rock, Progressive Rock und atmosphärischer Musik durchaus zu begeistern. Golden Caves, 2013 von Schülern des Rotterdamer Konservatoriums gegründet, nutzten ihre Gelegenheit zu zeigen, dass sie über Zukunftspotenzial verfügen.
Für viele Anwesende live eine unbekannte Größe, aber in den einschlägigen Medien wie dem unseren bereits hoch gelobt, folgten die US-Amerikaner von Bent Knee.
Eine ebenso junge wie dynamische Band mit der Freude an Neuem, Unkonventionellem, weit abseits vom gewohnten US-Mainstream. Bent Knee wurde 2009 mit dem Ziel gegründet, die musikalischen Grenzen zwischen Pop und Rock neu zu ordnen.
Das schien für eine Großzahl der begeisterten Zuhörer gelungen zu sein. Die treibende Kraft hinter dieser Band ist Sängerin/ Keyboarderin Courtney Swain, während Ben Levin den dynamischen Gitarrenpart übernahm. Bassistin Jessica Kion und Schlagzeuger Gavin Wallace-Ailsworth bildeten die kraftvolle, solide Rhythmusgruppe. Der Violinist Chris Baum verlieh dem Rock-Sound einen Hauch von Dramatik und Frische. Wie sich im Nachhinein beim Gespräch zeigte, kamen die jungen Musiker auch nach dem Gig genauso sympathisch locker und entspannt rüber wie bei ihrem Bühnenauftritt.
Nach einer kurzen Verschnaufpause mit dem einen oder anderen Hopfengetränk wurde an diesem ersten Abend die Bühne des progressiven Rocks verlassen. Blind Ego, das Soloprojekt des aus der Band RPWL bekannten Gitarristen Kalle Wallner, war zum Abschluss des Abends zuständig für den eher am Hardrock orientierten Part des Festivals. Tatkräftige Unterstützung gab es u.a. durch den Sylvan-Bassisten Sebastian Harnack und mit gebührendem Abstand am Mischpult durch RPWLs Mastermind Yogi Lang. Im Jahr 2005 entschied Kalle, dass er neben seiner Arbeit mit RPWL auch sein eigenes Material veröffentlichen wollte. Die Anwesenden nahmen das Angebot, diverse Titel seines Soloschaffens einmal live präsentiert zu bekommen, dankbar an. So endete mit reichlich Power ein abwechslungsreicher Abend, um dann letztendlich in einem seltenen Wintermärchen zu enden.
Auf der Heimfahrt zum Hotel begleitete uns sanfter Schneefall und verwandelte Delft und seine Grachten in eine romantische Traumkulisse. Auch der nächste Morgen ließ Gutes erwarten, weiße Winterlandschaft, strahlender Sonnenschein und elegant dahin gleitende Schlittschuhläufer auf den zugefrorenen Grachten. Ein Szenario, das einem in Delft nur alle zehn bis 15 Jahre geboten wird. Ideal, um den Tag gut gelaunt zu beginnen und mit einer Shopping-Tour in den bereits bekannten Plattenläden und anschließendem Schlemmen zu füllen.
Der Samstagnachmittag war dann wieder für den musikalischen Genuss reserviert. Mit Alan Reed & The Daughters of Expediency, Celestial Fire, Dave Kerzner Band und Magenta warteten einige Schwergewichte der Szene auf die Festivalbesucher.
Alan Reed, als ehemaliger Frontmann und Sänger der progressiven Rockband Pallas bekannt, hatte die wichtige Aufgabe, den zweiten Tag des Festivals in Schwung zu bringen. Inzwischen mit seinem zweiten Album “Honey On The Razor’s Edge” (2017) und einem Stamm exzellenter Musiker unterwegs, vermochte es die Truppe, mit zum Teil bombastischem, sinfonischen Neo Prog für die gewünschte Stimmung zu sorgen. Alan Reed hat zweifellos immer noch eine ausgezeichnete Stimme, die er bestimmt und mit Nachdruck einzusetzen weiß. Der verdiente Applaus war ihm gewiss.
Nach angemessener Umbaupause folgte Dave Bainbridge, kein ganz Unbekannter der Szene. Der Gründer der legendären Band Iona und aktueller Tastenmann bei Lifesigns und den Strawbs gab sich mit seiner weiteren Formation Celestial Fire die Ehre. Nach der Veröffentlichung seines gefeierten zweiten Soloalbums “Celestial Fire” (2014) wollte Dave eine Band gründen, die sowohl seine Soloarbeit als auch seine Songs aus der Iona Ära mit Emotion, Feuer und Leidenschaft zusammenzubringen vermochte. Mit Schlagzeuger und Violinist Frank van Essen (ex Iona), Multitalent Sally Minnear (Tochter von Gentle Giants Kerry Minnear), Gitarrenvirtuose Dave Brons und Bassist Simon Fitzpatrick (Carl Palmer’s Legacy) fand er die passenden Musiker.
In seiner Musik verarbeitet Bainbridge Einflüsse unter anderem von Gentle Giant und Keith Emerson, seine Vergangenheit bei Iona mit den keltisch, progressiven Rockelementen verleugnet er zu keiner Zeit. Die Boerderij-Besucher durften sich an erstklassig komponiertem und dargebotenem Symphonic Prog der höchsten Güteklasse erfreuen. Das alles präsentiert von dem bestens aufgelegten, stets charmanten und immer gut gelaunten Bainbridge. Der sich auch nach dem Konzert viel Zeit für das ein oder andere Schwätzchen mit seinen Fans ließ.
Nach dieser farbenfrohen, sehr viel Spaß bereitenden Progperle wartete schon das nächste Highlight. Dave Kerzner und seine Band waren bereits 2016 Gast beim Progdreams Festival. Er und seine Band hinterließen damals einen tiefgehenden Eindruck. Grund genug, ihn und die amerikanische Sängerin Durga McBroom, bekannt für ihre Arbeit mit Pink Floyd, um einen erneuten Auftritt zu bitten. Viele Worte sind nicht nötig… eine ambitionierte Darbietung von zweifelsohne guten Musikern mit einem bestens aufgelegten Frontman Kerzner. Progressive Rock, wie man ihn hören möchte.
Den zweiten Festival-Tag durften Magenta beenden, ein leider eher seltener Gast auf dem Kontinent. Die mehrköpfige Band stammt aus Wales und wurde 2001 von Ex-Cyan, Trippa – Bandmitglied Rob Reed und Sängerin Christina Booth gegründet. Ihre Musik ist u.a. beeinflusst von Genesis wie auch Mike Oldfield und weist zudem Folk-Rock Elemente auf. 2017 erschien ihr siebtes Studioalbum “We Are Legend“. In der Besetzung Christina Booth (Gesang), Rob Reed (Tasten/ Gitarren), Chris Fry (Gitarren), Dan Nelson (Bass) und Jon ‘Jiffy’ Griffiths (Schlagzeug) erfüllten die Künstler alle Erwartungen. Vor allem die charmante und mit dem Publikum stets flirtende Christina war es, die dem Auftritt den besonderen Stempel aufzudrücken vermochte. Es war schon beeindruckend, was für eine Energie diese zierliche Frau nach vorne trieb und dabei bestens durch Rob und den Rest der Mannen unterstützt wurde. Ein wirklich guter Auftritt zum Abschluss des Tages, der gebührend mit Applaus gefeiert wurde.
Noch die letzten Akkorde im Ohr, hieß es für die Betreuenden Progger zurück nach Delft. Der letzte Absacker wartete schon, bevor die müden Glieder endlich die verdiente Ruhe bekamen.
Frisch gestärkt, natürlich nach einem ausgiebigen Frühstück, startete die Truppe in den letzten Konzerttag. Ein ausgiebiger Spaziergang durch die City verhalf den steifen Knochen wieder zu neuem Schwung.
Für den Sonntagnachmittag wurde das ursprünglich vorgesehene Line-up auf Grund der extrem winterlichen Wetterbedingungen in England ziemlich durchgeschüttelt. Die mit großem Interesse erwarteten Tim Bowness und Lifesigns hatten ihre Überfahrt leider verpasst und mussten ihre Gigs zur großen Enttäuschung ihrer Fans absagen. Für die Veranstalter keine leichte Aufgabe, in der Kürze der Zeit für gleichwertigen Ersatz zu sorgen. Mit den Dinosauriern der niederländischen Musikszene Focus und den etwas weniger bekannten Downriver Dead Men Go gelang es, einen würdigen Ersatz zu präsentieren.
Positiv zu werten war allerdings, dass die anderen für Sonntag vorgesehenen und ebenfalls von der Insel stammenden Bands keine Mühe gescheut hatten, die Anreise zu bewältigen. Gleiches galt für die britischen Bands des Vortags.
Die aus Kent angereiste progressive Rockband Kaprekar’s Constant hatte die nicht leichte Aufgabe, die noch etwas enttäuschten Gemüter auf ihre musikalische Reise mitzunehmen. Die Multi-Instrumentalisten Al Nicholson und Nick Jefferson bilden das Herz der Formation. Ergänzt um Saxophonist David Jackson (Ex-Van der Graaf Generator), seiner Tochter Dorie Jackson und dem ehemaligen Level 42-Schlagzeuger Phil Gould war die Formation gut besetzt. Auf der Setlist stand das im Frühjahr 2017 erschienene Debütalbum “Fate Outsmarts Desire“, ein wahres Prog-Juwel. Zu Beginn merkte man der Band eine gewisse Verunsicherung an, die aber mit Dauer des Konzerts spürbar nachließ, so dass die epischen Arrangements im Stil von Big Big Train und Genesis beim dankbaren Publikum mit gebührendem Applaus honoriert wurden.
Anschließend folgte der niederländische Ersatz für Tim Bowness. Downriver Dead Men Go, als Post-Rock-Band angekündigt, hatten sie eine Sammlung atmosphärischer Melodien im Repertoire, die Vergleiche zu Nosound, den aktuellen Anathema, aber auch Antimatter aufkommen ließen. Einflüsse von Pink Floyd, The God Machine oder Mogwai waren ebenfalls zu erkennen. Mit ihrem Auftritt zählten die Musiker zu den Überraschungen des Festivals.
Danach betraten die jungen Alten um Thijs van Leer die Bühne. Focus sind sprichwörtlich die lebende Musiklegende mit dem Aktivitätsgen. Wenn man die alte Hammond-Orgel von Mastermind van Leer so betrachtet, so ist auf den ersten Blick nicht erkennbar, wer nun mehr Jahre auf dem Buckel hat, das Instrument oder der Bediener. Als wären nicht schon Jahrzehnte seit Gründung der Formation vergangen, genau gesagt sind es derer 5, legten die Mannen los wie zu ihren besten Zeiten. In der Besetzung Thijs van Leer – Hammond-Orgel, Flöte und Gesang, Pierre van der Linden – Drums, Menno Gootjes – Gitarre und Udo Pannekeet – Bass spulten sie ihr Programm traumwandlerisch ab. Man konnte den Eindruck gewinnen, sie werden immer besser, Ermüdungserscheinungen Fehlanzeige. Mit Titeln wie ‘Hocus Pocus’, ‘House of the King’ und ‘Sylvia’ dürften sie noch lange in jedermanns Ohr klingen. Das Heimspiel wurde mit großer Begeisterung quittiert und war ein voller Erfolg, auch wenn sie nur als „Ersatz“ für Lifesigns angetreten waren.
Das diesjährige Festival durfte dann der Headliner Steve Rothery, Gitarrist und Gründer der britischen Prog Rock-Pioniere Marillion mit seiner Band würdig beschließen. Er gilt als einer der angesehensten Gitarristen der Progressive-Rock-Szene. Sein Gitarrenspiel ist von einem beispiellos hohen Niveau. Das aus dem Jahr 2014 stammende erste Soloalbum “The Ghosts of Pripyat“, in dem die Gitarrenmusik im Vordergrund steht, erhielt bereits kurz nach der Veröffentlichung begeisterte Kritiken. So überraschte es jetzt auch nicht, dass die Live-Darbietungen einiger Titel aus diesem Album beim Publikum sehr gut ankamen. Diverse Marillion-Stücke rundeten einen fantastischen Gig ab, bei dem Steve Rothery neben seinen Gitarrenkünsten mit Humor und einer großen Gelassenheit glänzte. Unterstützung erhielt er durch den Songschreiber und Gitarristen von Mr. So & So und langjährigen Freund, Dave Foster, Leon Parr, den Drummer Yatim Halimi (ebenso von Mr. So & So), den Bassisten von Panic Room, den Ranestrane-Keyboarder Riccardo Romano und nicht zuletzt Sänger Martin Jakubski.
Viel zu schnell gingen diese zwar etwas anstrengenden, aber doch höchst unterhaltsamen Festivaltage vorüber. Die Vorfreude auf 2019 ist daher schon wieder riesig. Dem Veranstalter Arie Verstegen und De Boerderij sei Dank für ein großartig organisiertes Event. Ergänzend sei bemerkt, dass der Sound 2018 ausgesprochen gut abgemischt war und die sonst übliche, fast grenzwertige Lautstärke diesmal sehr gut erträglich war. Dafür gibt es fünf Sterne und ein Sonderlob.
Einziger Wermutstropfen dürften die, trotz moderater Ticketpreise, gefühlt sinkenden Zuschauerzahlen sein, dafür kann aber der Veranstalter nichts. Also Proggies, nächstes Jahr gibt es keine Entschuldigung fürs Fernbleiben, los geht es auf zu einem der besten Festivals des Genres.
Text: Horst-Werner Riedel
Live-Fotografie: Timo Riedel
Surftipps zum Progdreams VII Festival:
Homepage Golden Caves
Homepage Bent Knee
Homepage Blind Ego
Homepage Alan Reed and The Daughters of Expediency
Homepage Dave Bainbridge/ Celestial Fire
Homepage Dave Kerzner Band
Homepage Magenta
Homepage Kaprekar’s Constant
Homepage Downriver Dead Men Go
Homepage Steve Rothery Band
2 Kommentare
Toller Bericht, der die drei schönen Tage in Holland mit guten Freunden bei abwechslungsreichen musikalischen Projekten noch mal wach werden lässt. Vor allem jedoch großer Respekt für das fotografische Einfangen besonderer Momente durch Timo Riedel.
Das tollste an den Tagen war tatsächlich diese Zeit mit lieb gewordenen Freunden zu verbringen. Die Musik ist eine wunderschöne Nebensächlichkeit, die man ebenso wenig vermissen möchte. Neben den vielen positiven Erinnerungen verbleibt die Vorfreude auf eine hoffentlich von Arie Verstegen geplante Neuauflage in 2019.