(41:50/44:15 , 2LP, Brain/Universal, 1974/2017)
Heutzutage käme wohl kaum jemand auf die Idee einem Album den Namen “Ballermann” zu geben, es sei denn man hätte vor einen Bierzelt-Disco-Sampler unters Volk zu bringen. Warum das Grobschnitt-Album “Ballermann” so heißt, erschließt sich auch nicht so recht – Songs über Schusswaffen oder Revolverhelden finden sich darauf jedenfalls nicht. Vermutlich darf man es unter der Kategorie “eigenwilliger Humor” verbuchen, der in der Historie der Band eine wichtige Rolle spielt.
Dass dem Werk Kult- bzw. Klassikerstatus zugesprochen wird, ist hinlänglich bekannt. Grund dafür ist die sogenannte Urversion von ‘Solar Music’. Dieses Epos hat in der Diskographie der Hagener eine dermaßen exponierte Stellung, dass abgesehen vielleicht von “Rockpommels Land” alles andere in den Hintergrund tritt. So scheint es auch müßig, das Stück aus heutiger Sichtweise nochmals zu analysieren.
Im Vergleich dazu macht es einem, sofern man an Gesang gewisse Qualitätsanforderungen stellt, die erste LP des Doppelalbums nicht gerade leicht. Schon das Eröffnungsstück ‘Sahara’ hinterlässt mit seinem Kraut-Englisch-Parodie Gesang von Eroc einen zwiespältigen Eindruck. Wer es witzig findet, hat Glück gehabt. Die folgenden Songs lassen den Humor zwar links liegen, jedoch konterkariert der Gesang von Willi Wildschwein (Stefan Danielak) die Musik doch ein ums andere Mal. Hört man auf der musikalischen Seite da und dort schon mal Yes oder Genesis heraus, liegt im Gesang so rein gar nichts, was den Hörer an ein Goldkehlchen wie Jon Anderson oder an das Charisma eines Peter Gabriel erinnert. Der Spitznamee ist bei Stefan Danielak Programm. Insbesondere auf den Stücken der zweiten Seite, die mitunter recht melodisch, brav und getragen ausfallen, mögen manche Hörer den Gesang als Fremdkörper empfinden. Nun, Grobschnitt-Fans aus 40 Jahren hat das offensichtlich nicht weiter gekümmert, Neueinsteigern sollte man es allerdings nicht verschweigen.
Was die technische Qualität dieser Wiederveröffentlichung angeht, gibt es eine Eins mit Ausrufezeichen. Die Pressung ist perfekt, die LPs stecken ab Werk in einer gefütterten Innenhülle, sie klingen frisch und präzise. Die Reissue enthält zwei auffaltbare Inlays mit Fotos und Zeitungsausschnitten. Da “Ballermann” seit jeher ein Doppelalbum war, gibt es leider zunächst keine Bo-Nüsse. Mittels des beiliegenden Downloadcodes erhält man zumindest noch eine alternative Liveversion von ‘Sahara’. Alles in allem volle Empfehlung für Fans. Goldkehlchen-Liebhaber jedoch sollten zunächst ihre Toleranzfähigkeit hinterfragen.
Bewertung: 9/15 Punkten (DH 9, GH 11, KR 12)
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Interview: Lupo & Eroc zu “Solar Movie”
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Wikipedia (Eroc)