(50:36 , LP, BMG, 2017)
Die Zeiten, in denen Veröffentlichungen aus dem Genesis-Umfeld zu Blutdruck-Spitzen geführt haben, sind lange, lange her. Dass es aus dem Genesis-Umfeld überhaupt noch neue Veröffentlichungen gibt, verdanken wir in erster Linie Steve Hackett, der in stoischer Regelmäßigkeit seinen Ex-Kollegen zeigt, dass Kreativität und Alter keinesfalls Widerspruch bedeuten müssen. Jetzt aber will sich auch Mike Rutherford nicht lumpen lassen und lädt zum 30. Geburtstag seiner einst als Spaßband gegründeten Mike & The Mechanics ein.
Sympathisch waren sie eigentlich immer, die Mechaniker um unseren Mike. Poprock der besseren Sorte, Balladen und einige verzeihliche Mitgröhl-Nummern. Mit Paul Carrack und dem inzwischen verstorbenen Paul Young hatte er erstklassige Sänger an der Seite, und an Stücke wie ‘Silent Running’, ‘Why Me?’, oder ‘A Call To Arms’ erinnert man sich auch als Genesis-Fan gerne. Letzteres war gar ein Überbleibsel der “Mama”-Sessions, und somit ursprünglich für Genesis gedacht.
2017 nun verkündet Mike Rutherford auf der Innenhülle von “Let Me Fly”: “This Album returns to the early Mechanics Sound …”. Zwar sind bis auf den Werkstattchef selbst inzwischen alle Angestellten inklusive des langjährigen Co-Autors B. A. Robertson ausgetauscht, aber tatsächlich klingt das Album so unverkennbar nach Mike & The Mechanics, dass man sich glatt ins letzte Jahrtausend zurückversetzt fühlt. Das ist zwar alles andere als zeitgemäß, aber in Sachen Popmusik ist “zeitgemäß” für Musikliebhaber doch eher ein böses Wort.
Der Rutherfordsche Anachronismus hingegen hat einen gewissen Charme. Die beiden aktuellen Vorarbeiter Tim Howar und insbesondere Andrew Roachford spielen zudem gesanglich in einer ähnlichen Liga wie vormals Carrack und Young. Die zwölf neuen Songs zitieren mehr oder weniger die großen Mechanics-Hits. Dem Titelsong ‘Let Me fly’ stand unzweifelhaft das Arrangement von ‘The Living Years’ Pate. Hier und da schimmern ‘Another Cup Of Coffee’, ‘Time And A Place’ oder “Nobody’s Perfect” durch die neuen Songs, ohne dass man in die Nähe des Selbstplagiats kommt. Explizit erwähnenswert ist dabei ‘The Letter’, in dem ziemlich clever eine Melodie aus ‘Silent Running’ recycelt wird. Am anderen Ende der Fahnenstange stehen ‘The Best Is Yet To Come’ und ‘I’ll Be There For You’, bei denen einem unweigerlich das schlimme Wort “Ü-40-Disko” in den Sinn kommt. Das sind aber glücklicherweise die einzigen Skip-Kandidaten. Mit ‘Save My Soul’ klingt “Let Me Fly” schließlich angenehm balladesk aus.
Wem das Mechanics-Debüt, “The Living Years” und “Beggar On A Beach Of Gold” gefallen hat, der kann sich bedenkenlos an die 2017er-Mechaniker ran trauen. Es gibt zudem genug Momente im Leben, in denen man die komplexen Scheiben besser im Schrank lässt. Für solche Gelegenheiten gibt es Mike & The Mechanics – immer ein guter Kompromiss.
Die Lp erscheint in einem sehr hübschen Gatefold-Cover mit Karton-Innenhülle. Die Pressung von Optimal Media ist sauber und stammt von einem Abbey-Road-Vinylmaster. Ein Download Code allerdings fällt beim Öffnen leider nicht aus der Hülle. Schade! Warum wird dieser Service eigentlich kein Standard?
Völlig Prog-freie Bewertung: 10/15 Punkten (DH 10, PR 10)
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