(39:15; CD, Digital, Eigenveröffentlichung, 20.09.2024)
Mit Kayo-Dot-Alben war ja nicht immer so ganz leicht Kirschen essen, da hier am Experimentieren nie wirklich gespart wurde. Mit Toby Drivers Solo-Album “Raven, I Know You Can Give Me Anything” bekommt der geneigte Hörer ein musikalisches Nest, ein warmes Bett, in das er sich so richtig tief fallen lassen kann. Auch wenn diese Veröffentlichung bereits einige Tage alt ist, gehört sie aus meiner Sicht unbedingt besprochen. Und wenn Du mit den letzten Anathema-Alben, vor allem den langsamen ausufernden Stücken am Ende der Platten dein temporäres emotionales Nirvana gefunden hast, die elegische Seite eines Steven Wilson oder David Gilmour zu schätzen weiß, dies alles episch aufgeblasen, postrockig warm produziert, dann ist dies mein Versuch, dieses doch sehr spezielle, intime Album anzuempfehlen. 40 Minuten durchgehend melancholischer Schönklang, bis auf einen Track (das poppige, aus der Art schlagende, fließend leichtfüßige ‘Someday There I’ll Be An Avalanche) ganz in konsequent malerisch langsamem Tempo vorgetragen.
Der Opener ‘Ticking Timebomb’ begrüßt den Hörer mit einer wohlig warmen Sound-Decke, perlenden Akkorden und Vocals, die eine zuvor nie gezeigte Brüchigkeit und Verletzlichkeit zum Vorschein bringt. Wunderschön, mit unwiderstehlicher Melodik (die letzten K. Gildenlöw lassen grüßen) zieht man spielerisch in die oberste Liga des modernen, atmosphärischen New Artrock ein, wohlgemerkt spielerisch. Sanfte weibliche Backing Vocals lassen die jüngeren Anathema wie von allein auf dem inneren Schirm erscheinen. Das oben genannte Mid Tempo-lastige ‘Someday…’ lebt ebenfalls von seiner schönen Hauptmelodie, hat poppig sommerliche Leichtigkeit (mir fiel der Songwriter Lloyd Cole ein – herrlich), vermag jedoch seine latente Sehnsucht und Wehmut keinesfalls zu verbergen.
Toby verzaubert den Hörer mit gefühlt sehr persönlichen Klängen und Texten, man fühlt sich direkt drin in jeder Sekunde, einfach persönlich angesprochen. ‘Antinous In The Nile’ ist ein fragiles, leicht kitschiges Stillleben, vereint die Sanftmut und Klarheit so mancher No-Man-Songs, die Norweger von Oberon fallen mir mit ihren Nordic-Pathos-Pop ebenfalls ein. Hat fast was weihnachtliches, spirituelles – hier darf die Pathosgrenze von jedem Hörer individuell überprüft werden. Wortgewandt und mit vielen Metaphern versehen teilt Toby seine Blickwinkel, sein Innenleben und macht balladige Schlenker wie das elegische Keyboard-lastige ‘Transdimensional Allubium’ für Freunde des sanften Artrocks zur Entdeckungsreise.
Viel passiert grundsätzlich nicht, aber der dichte, traumartige Sound lässt die feinen, an David Gilmour angelehnten Gitarrenklänge nebst den sehr zurückhaltenden, aber jederzeit akzentuierten Drum-Spielereien gekonnte Farbtupfer setzen, die der entrückten Atmosphäre einfach perfekt in die Arme spielen. Der Falsett-Gesang erinnert gelegentlich an alte New Wave Momente in den 80s – die neuen Ulver, wenn sie nicht gerade mit cleveren Dance-Moves brillieren, sind in ihrer pathetischen, dunklen Gangart ebenfalls ein nicht zu leugnender Verweis. Schleppend und in den Wolken spielend transportiert das Titelstück transzendente Entrücktheit. Die perlenden Gitarren und der hohe, richtig schön emotionale 80´s Gesang sind eine Klasse für sich. Noch einmal richtig nah heran holt uns der Amerikaner mit dem abschließenden, sehr slowen ‘Shankha’, das schon fast klassisch anmutet und mit dieser Cavanagh’schen Emotionalität tief berührt. Mit über sieben Minuten findet das in sich komplett verschlungene, sehr dichte Album mit ‘Talismans To Keep Me’ seinen ätherisch umarmenden Abschluss. Melancholie, Emotionalität, elegische Sound-Kulissen, was will der Freund moderner Artrock-Klänge mehr? Lass’ draußen die Welt untergehen, leg Dich einfach im richtigen Moment in dieses musikalische Bett und zieh die Decke drüber, es wird sich warm und sicher anfühlen. Ein wunderschönes Kleinod!
Bewertung: 12/15 Punkten
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