(Vinyl (2LP), CD, CD + Blu-ray, MC, Digital; Reigning Phoenix Music, 22.11.2024)
Heiliger 9/32-Takt, was ist das bloß für ein Prog-Metal-Jahr? Viel wurde schon geschrieben, zum mittlerweile 14. Album der Schweden um Mastermind Mikael Åkerfeldt. Auf den letzten drei Alben hatte man den Death Metal, mit dem die Band vor fast 30 Jahren begonnen hatte, komplett außen vor gelassen, und eine nicht kleine Anzahl von Fans, die ihn immer mal wieder vermisst hatten, dachte, er würde niemals wiederkehren. Nun, er ist vielleicht ein kleines Bisschen wieder da.
“The Last Will And Testament” ist ein Konzeptalbum mit Lyrics von Klara Rönnqvist-Fors (The Heard, ex-Crucified Barbara), durchzogen von der Band-typischen Melancholie und Düsternis. Es geht, kurz zusammengefasst, um einen Patriarchen und seinen letzten Willen. In Filmen läuft das üblicherweise wie folgt ab: Die Angehörigen und Familienmitglieder, die sich seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben, kommen zur Testamentseröffnung in einem großen, dunklen, holzvertäfelten Raum zusammen. Der Anwalt öffnet einen nikotingelben Briefumschlag und liest vor: Der Lieblingsneffe bekommt den größten Anteil, der böse Onkel gar nichts, der Butler das Haus mit Garten plus Pferdestall und die gierige Ehefrau, die ihn eh nur wegen der Kohle geheiratet hat nur einen Thermomix. Niemand ist einverstanden mit dem Testament, man schreit sich an, weint, schluchzt. Dann geht das Licht aus, ein lauter Knall … Aber ganz so ist es hier dann zum Glück doch nicht.
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Die Verlesung des letzten Willens beginnt also mit ‘§1’, einem Song, der bereits vor der Veröffentlichung als Single zu hören war und vielleicht auch eines der eingängigeren Stücke des Albums bleiben wird. Aber dann:
Hear the last will and teastament of your Father!
Sie sind tatsächlich wieder da, die Growls. Åkerfeldt ist nach wie vor ein großartiger Sänger. Nimmt man seine Growls als Vergleich zu seinen sauberen, cleanen Vocals, ist es sogar recht bemerkenswert, welches Volumen er hat und was für Tonhöhen und -tiefen er erreichen kann. Der Stimmungsaufbau und die Dramatik des Songs passen hervorragend zum Thema des Konzepts, und diese wunderschöne Melodie am Ende des Songs wird noch öfter, quasi als eine Art Thema, wiederkehren.
‘§2’ präsentiert Ian Anderson als Erzähler und Joey Tempest als Backgroundsänger, der zum Glück nicht direkt den Final Countdown (des Erben) einleitet. Ist ja auch erst der zweite Song von insgesamt acht, von denen nur der letzte einen ordentlichen Namen bekommen hat. Nicht wirklich überraschend ist, dass Opeth hier erneut zunehmend anspruchsvoll handwerken und es nicht immer sofort klick macht. Viel zu komplex sind zum Beispiel die Taktwechsel vom überragenden Neu-Schlagzeuger Waltteri Väyrynen, die sich sekündlich zu ändern scheinen. Verweise zum Jazz werden öfter von Kollegen gezogen, und wenn man bedenkt, dass Väyrynen von Paradise Lost gekommen ist, könnten böse Zungen behaupten, dass er dort offensichtlich stark unterfordert gewesen sein muss.
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Bis hierhin muss man sich also durchaus ein wenig anstrengen, um alles verfolgen zu können. Vielleicht sogar etwas mehr, als bei allen anderen Opeth-Alben. Ab ‘§4’ wird es ein klein wenig einfacher bzw. eingängiger. Es kommen ruhigere Parts hinzu, bei denen man verschnaufen und Ian Andersons markante und unüberhörbare Querflöte genießen kann. Nach dem Einstieg mit der oben bereits genannten Themen-Melodie in ‘§5’, geht es allerdings weiter mit dem Wahnwitz. Ein Samba-Rhythmus (!?) taucht auf, dann orientalische Skalen, dann eine kleine elektronische Sequenz und dann diese mächtigen Growls. Unfassbar! Im Lexikon gehört unter den Eintrag “Progressive Metal” ab sofort das Bild von Opeth.
‘A Story Never Told’ leitet dann das Ende dieser Achterbahnfahrt aus Einflüssen aus Retro Prog, Hardrock, Death Metal und Jazzrock ein. Recht ruhig und besonnen, wird die Melodie des Themas wiederholt, und in der zweiten Hälfte beseelt den geneigten Hörer ein traumhaftes Gitarrensolo.
“The Last Will And Testament” ist, jenseits aller Trademarks der Band, möglicherweise das bisher komplexeste Album von Opeth. Trotzdem fällt der Zugang zumindest dem schreibenden Betreuer deutlich leichter, auch weil dieser ein Fan der “alten” Death Metal-Phase war und ist. Der Spaß, den Jungs beim Spielen zuzuhören, ist sehr hoch und bleibt auch nach dem zehnten Hördurchgang noch erhalten. Und auch wenn die Schweden sich hier spielerisch noch einmal eine Etage weiter nach oben frickeln, passt immer noch alles zusammen und macht Sinn.
Der Sound des Albums ist brillant. Jedes Instrument, jeder Klang ist glasklar zu hören und gut abgestimmt. Produziert wurde gemeinsam mit Stefan Boman (Ghost, The Hellacopters) und Joe Jones (Killing Joke). Miles Showell (Abba, Queen) übernahm das Mastering in den Abbey Road Studios und das Coverartwork stammt wie so oft von Travis Smith.
“The Last Will And Testament” ist sicher ein Kandidat für das beste Prog-Metal-Album des Jahres. Selbst Blood Incantation kommen da in Sachen Anspruch nicht ran – und das will was heißen. In der Diskographie der Band kann man es sicher unter den Top 5 einordnen. Für Platz 1 reicht es zumindest zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ganz, und deshalb, wenn man davon ausgeht, dass das beste Opeth-Album mindestens 14 Punkte verdient, gibt es aktuell “nur”…Bewertung: 13/15 Punkten
Besetzung:
Mikael Åkerfeldt – Gesang, Gitarre
Fredrik Åkesson – Gitarre, Begleitgesang
Martín Méndez – Bass
Waltteri Väyrynen – Schlagzeug, Perkussion
Joakim Svalberg – Keyboards, Begleitgesang
Gastmusiker:
Ian Anderson – Sprecher (Track 1, 2, 4 und 7) // Flöte (Track 4 und 7)
Joey Tempest – Begleitgesang (Track 2)
Mirjam Åkerfeldt – Sprecherin (Track 1)
Surftipps zu Opeth:
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Prog Archives
Wikipedia
Rezensionen:
“The Last Will And Testament” (2024) (Malt & Music)
“Blackwater Park” (20th Anniversary Edition) (2001/2021)
“Garden Of The Titans” (2019)
“In Cauda Veneum” (2018)
“Sorceress” (2016)
“Deliverance” & “Damnation” (Bookset) (2015)
“Heritage” (2011)
“Watershed” (2008)
“Ghost Reveries” (2005)
“Damnation” (2003)
Liveberichte:
06.08.24, Dortmund, FZW13.11.2019, Köln, E-Werk
10.09.05, Köln, Underground
Interviews:
Interview zu “Sorceress” (2016)
Interview zu “Pale Communion” (2014)
Interview zu “Watershed” (2008)
Abbildungen: Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Another Dimension zur Verfügung gestellt.