Die Norweger veröffentlichen in schöner Regelmäßigkeit neue Alben und auch dieses Jahr stellt da keine Ausnahme dar. Einzig während der Coronazeit klappte es aus uns allen bekannten Gründen nicht. ‘Dawn Of Oberon’ heißt das zwölfte Werk – und es bleibt mehr oder weniger alles beim Alten, trotz zweier Wechsel an Keyboards und Schlagzeug. Die Fans der Band nehmen das sicher wohlwollend zur Kenntnis, denn auch große Qualitätsunterschiede zu ihren früheren Werken gibt es keine. Bei dieser Band ist der Spruch “Wer Tusmørke kauft, der kriegt auch Tusmørke” zutreffend. Doch auch Menschen ohne Kenntnisse dieser Band lade ich dazu ein, mal ein Ohr zu riskieren, denn Tusmørke lassen sich nicht mit vielen anderen derzeitigen Progbands vergleichen.
Los geht es mit dem fast 18-minütigen Titeltrack in allerbester alter Prog-Manier. Es folkt und proggt abwechslungsreich wie immer, die Drums scheppern, die Tasten klingen wie anno dazumal, besonders das Mellotron, die Gitarre hält sich mit dem Bass zurück, dafür ist die Querflöte ist allgegenwärtig. Nach drei bis vier Mal hören sitzen selbst die kniffligsten Notenfolgen im Proggerhirn und das Ganze ergibt somit immer mehr einen Sinn. Tusmørke klingen wie ein zusammengewürfelter Haufen aus Jethro Tull, King Crimson, Soft Machine, Fruupp usw. Der Hörer bekommt fast schon eine Überdosis an klassischem Prog der Siebziger, doch er kriegt zumindest keinen späteren Rausch davon. Das leichter zugängliche ‘Born To Be Mild’ folgt noch auf Seite 1. Und wer gut zuhört bemerkt bekannte Notenfolgen aus dem größten Hit, den Steppenwolf mit ‘Born To Be Wild’ hatten.
Vier Tracks verbleiben noch auf der B-Seite, die mit dem ruhigeren ‘Dwarven Lord’ beginnt. Der Song fließt ruhig wie ein kleines Boot über den See dahin und entspricht dem träumerischen Prog, wie ihn King Crimson auf ihrem Debüt so phantastisch zelebriert haben. Dass die Norweger ihre Muttersprache nicht ganz vergessen haben, beweist das folgende ‘Midsommernattsdrøm’. Der Achtminüter ist ein Potpourri aus den besten musikalischen Ingredienzen, die die progressive Musik in den Siebzigern geboren hat, sowie ebenfalls wunderbar eingefügten Zwitschertönen diverser Vogelarten – es zwitschert fast wie im Song ‘The Park’ von Uriah Heep aus dem Jahr 1971. Obwohl der neue Keyboarder Herjekongen bisher fast schon verschwenderisch viel an der Front war, setzt die Band hier noch einen drauf. Die Keys dominieren eindeutig, doch der wahre Held ist für mich der neue Schlagzeuger Kusken. Der spielt seine Parts auf sehr hohem Level und ist damit mehr als ein würdiger Nachfolger von HlewagastiR. Das kürzere ‘People View’ gerät für meinen Geschmack dann doch etwas überladen mit den vielen Keyboards, weniger wäre da mehr gewesen. Und schon erklingt der letzte Track ‘Troll Male’. Zu Beginn perlt vom Klavier eine flotte Notenfolge und die klingt genauso wie das Intro einer bekannten Fußballsendung am Sonntagvormittag bei einem deutschen Sender… Anschließend aber holen die Norweger noch einmal die volle Prog-Keule heraus und der Track entpuppt sich als sehr ideen- und abwechslungsreich. Der Fünfminüter beschließt das Album in allen Ehren.
Die vier Norweger haben sich zu 50 Prozent erneuert und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass diese Entscheidung rückblickend wohl doch nötig war. In der Tat zünden die beiden Neuen an Keyboards und Schlagzeug ein richtiges Prog-Feuerwerk ab, das zwar nicht ganz mit seinen Originalen aus der damaligen Zeit mithalten kann oder vielleicht auch gar nicht will, da jede Zeit ihre Fans und Erinnerungen hat. Doch ist dieses Album es wert, näher von Fans der Richtung progressiv/folkig/psychedelisch gehört zu werden. Nach einem eher mauen Progsommer endlich mal wieder etwas gegen den Herbstblues.
Bewertung: 12/15 Punkten
Tracklist:
01. Dawn Of Oberon 17:53
02. Born To Be Mild 3:35
03. Dwarven Lord 4:56
04. Midsommernattsdrøm 7:58
05. People View 3:44
06. Troll Male 5:18
Line-up:
Krizla – vocals, flute, percussion
Herjekongen – keyboards
Benediktator – vocals, bass, guitar, flute, keyboards, glockenspiel, percussion
Kusken – drums
Suftipps:
Abbildung: Tusmørke