Von Beatboxern & Hexen
Das Jazzfest Bonn ist eine Veranstaltungsreihe, die in diesem Jahr ihr 15. Jubiläum gefeiert hat. In der Zeitspanne vom 19. April bis zum 1. Mai traten dabei Künstler und Formationen wie das Bundesjazzorchester, die deutsch-iranische Musikerin Cymin Samawatie, die japanische Pianistin Makiko Hirabayashi und der Kubaner Harold López-Nussa Torres bei 14 Doppelkonzerten auf. Die Abschlussveranstaltung fand am Tag der Arbeit im Bonner Opernhaus statt und war ein echtes Schmankerl, nicht nur für Liebhaber des Jazz, sondern auch für Fans des Progressive Rocks. Denn neben dem Thomas Quasthoff Trio spielte an diesem Abend auch die Monika Roscher Bigband, um ihr aktuelles Album “Witchy Activities And The Maple Death” zu präsentieren.
Dass die Organisatoren des Jazz Fests unserer freundlichen Bitte um Akkreditierung nachkamen, freute uns einerseits sehr. Brachte uns andererseits aber auch in die Verlegenheit, in diesem Artikel auch über Thomas Quasthoff berichten zu dürfen, einen der bekanntesten deutschen Bariton-Sänger des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Quasthoff hatte sich bereits im Jahr 2012 komplett von den Bühnen und aus den Opernhäusern zurückgezogen, wagte aber in den letzten Jahren ein Comeback: als Rezitator, Kabarettist, Moderator, Schauspieler und nicht zuletzt auch als Jazz-Sänger.
Thomas Quasthoff Trio
Thomas Quasthoff war in der Vergangenheit bereits zweimal beim Bonner Jazz Fest zu Gast gewesen. Sein dritter Auftritt sollte jedoch ein ganz besonderer werden, denn Quasthoff trat dort erstmals in einer Trio-Besetzung auf, zusammen mit dem Posaunisten Shawn Grocott und Wolfgang Meyer an der Gitarre. Der musikalische Abend begann eher ungewöhnlich: Als der Organisator des Jazz Fests die Bühne betrat, um das Publikum zu begrüßen, berichtete er von seiner akuten Nervosität. Er habe soeben ein paar Musiker verloren, die sich wohl im Opernhaus verlaufen hätten. Diese Ansprache stellte sich jedoch schnell als Finte heraus, denn nur Augenblicke später erklangen urplötzlich Bläserklänge aus den seitlichen Eingangstüren der Halle. Grocott und Meyer, die zwei Posaunen spielten, betraten den Raum und bahnten sich ihren Weg auf die Bühne. Dort angekommen tauschte Meyer die Posaune kurzerhand gegen seine Gitarre ein, und so bereiteten die beiden Musiker mit smoothen Klängen die Bühne für Thomas Quasthoff, der unter tosendem Applaus vom Publikum begrüßt wurde.Es folgte ein äußerst unterhaltsamer Auftritt, bei dem das Trio seine Lieblingssongs aus der Welt des Jazz präsentierte. Ein Ansatz, der in dieser Musikrichtung nicht ungewöhnlich ist, im Progressive Rock jedoch belächelt und als Cover-Band abgetan worden wäre. Natürlich gibt es auch im Prog hoch respektierte Formationen, die sich auf die Stücke anderer Künstler spezialisiert haben, aber in der Regel sind dies Gruppen, die sich ganz und gar der Reproduktion des Werkes einer einzelnen Band verschrieben haben (vgl. z. B. The Musical Box <-> Genesis, d. Schlussred.). Mehrere Künstler jedoch, die einfach ihre Lieblingsstücke aus dem Genre aufführen? Man stelle sich eine Prog-Allstar-Band vor, die jeden Abend die größten Prog-Klassiker aufführen würde. Eine seltsame Vorstellung, die abwegig und faszinierend zugleich erscheint.
Wer sich den Bariton Quasthoff nur schwer als Jazz-Sänger vorstellen kann, dem sei versichert, dass dieses Experiment tatsächlich sehr gut funktioniert und einen ganz eigenen Charme besitzt. Wie imposant Quasthoffs Stimme auch im Jazz ist, zeigte sich allein daran, dass der Künstler immer wieder sein Mikrofon wegdrehte und den Saal allein mithilfe seines eigenen Resonanzkörpers klanglich ausfüllen konnte. Very impressive!
Während des etwa einstündigen Sets gab es eine ganze Reihe von Jazz-Standards zu hören, darunter Nat King Coles ‘Route 66’ als Opener sowie ‘The Girl From Ipanema’. Dass diese aus dem Bossa Nova stammende Nummer im Set vertreten war, war typisch für diesen Auftritt, denn insbesondere Shawn Grocott ließ immer wieder gerne lateinamerikanische Einflüsse in sein Gitarrenspiel einfließen. So gab es später sogar Marku Ribas’ ‘Altas Horas’ zu hören.
Mehr als mit seiner Musik überzeugte Thomas Quasthoff den Rezensenten allerdings mit seiner sympathischen Ausstrahlung, seinen kleinen Anekdoten und Anmoderationen. Einige Gäste fanden dieses Gerede allerdings etwas zu viel und hätten stattdessen gerne mehr Musik gehört. Dennoch – ein Mann mit echten Entertainer-Qualitäten. Vor allem in Sachen Selbstironie konnte Quasthoff punkten. Einfach klasse, wie er es vermochte, seine vermeintlichen körperlichen Schwächen in messerscharfen Humor umzuwandeln. Aber nicht nur das: Quasthoff entpuppte sich zudem als grandioser Vokalakrobat. Nicht nur, dass er die einzelnen Stücke immer wieder mit verschiedenen Stimm-Effekten untermalte, Quasthoff solierte auch gefühlte zehn Minuten lang und spielte dabei mit so verschiedenen Techniken wie Lautmalerei, Beatboxing, Scatting und sogar Jodeln. Dass das meiste hiervon improvisiert war, konnte man leicht an den staunenden bis ungläubigen Blicken seiner Mitmusiker ablesen. Ein Einschub, der ewig hätte andauern dürfen, der dann jedoch abrupt von einem Plopp à la Michael Schanze unterbrochen und mit besoffenem Lallen ausgeblendet wurde.
Nach so viel Ulk und Alberei wurde der Sänger plötzlich ernst und politisch und richtete, mit Blick auf die anstehende Europawahl, einen Appell an das Bonner Publikum:
Wählen sie so, dass wir uns als Künstler im Ausland nicht schämen müssen.
Es folgte eine eher untypische Interpretation des John–Lennon-Klassikers ‘Imagine’, in dessen Mittelteil Shawn Grocott mit einem Posaunen-Solo glänzte. Vom sonst so Quasthoff-typischen Brahms-Stück ‘Guten Abend, gut’ Nacht’ sah das Trio an diesem Abend allerdings ab. Beim noch anstehenden Auftritt der Monika Roscher Bigband wäre diese Nummer einfach nicht passend gewesen. Stattdessen ging es beschwingt und sexy mit ‘Makin’ Whoopee’ weiter, bei der Grocott ein weiteres Mal für eine Wahnsinns-Posaunen-Einlage gefeiert wurde.
Den Abschluss des Konzerts bildete dann der Henri–Mancini-Klassiker “Moon River”. Und auch hier war es Quasthoffs Selbstironie, die am Ende des Abends viel präsenter in Erinnerung blieb als das Stück selbst.
Stellen Sie sich vor, ich sähe aus wie Audrey Hepburn! Ich sehe allerdings mehr aus wie ein Dackel. Der hat auch braune Augen und kurze Beine. Fragen Sie mich jetzt aber bitte nicht nach meinem Hinterteil!
Obwohl der Auftritt des Thomas Quasthoff Trios eine kurzweilige Angelegenheit war, wird sich der Autor Thomas Quasthoff in der Zukunft wohl eher mit einem Kabarett-Programm anschauen.
Monika Roscher Bigband
Nach einer etwas längeren Pause läutete der Gong den zweiten Teil des Abends im Bonner Opernhaus ein. Auffällig war, dass der Saal zu Beginn des Auftritts der Monika Roscher Bigband wieder genauso gut gefüllt war wie zu Beginn der Veranstaltung. Die Zuschauer, die nur wegen Thomas Quasthoff gekommen waren, gaben Monika Roscher also eine Chance.
Der Kontrast zwischen den beiden Acts hätte kaum größer sein können: Auf der einen Seite ein homogen wirkendes Trio, dem Opernhaus angemessen in Schwarz gekleidet, auf der anderen Seite eine 18-köpfige Bigband, deren Mitglieder bereits optisch äußerst heterogen auftraten: Abendanzug, Dreiteiler, Sommerkleid, Schiebermütze, Holzfällerhemd, Jeans und Kopftuch. Schon bei diesem Anblick konnte man sicher sein, dass es auch musikalisch abwechslungsreich werden würde.
Auffallendster Farbtupfer im Roscher’schen Bigband-Kosmos war allerdings Monika Roscher selbst, die in einem engen blau-weiß-goldenen Ganzkörperanzug mit Paillettenbesatz die Bühne betrat.
Ein Anblick, der bei manchen Besuchern akute Schnappatmung auslöste und sie doch nicht darauf vorbereiten konnte, was musikalisch folgen sollte. Die Ansagen Monika Roschers gaben da schon einen besseren Vorgeschmack, denn die so sympathische wie redselige Frontfrau sprach den halben Abend nur von Hexen, Prinzessinnen und der Apokalypse. Und das, obwohl die Walpurgisnacht doch eigentlich schon zwölf Stunden zuvor zu Ende gegangen war. Was nun auf die unvorbereiteten Besucher hereinbrach, das waren Klänge, die diese von einer Bigband in dieser Form wohl beim besten Willen nicht erwartet hätten. Schon beim hymnenhaften Opener ‘Queen Of Spades’ dämmerte es so manchem, dass hier wohl der Teufel selbst seine Hände im Spiel gehabt haben musste. Schon die Musik war für einige fordernd, doch Roschers Gesangspart dann für einige wohl doch zu aggressiv. Als die Künstlerin bei der darauf folgenden Ansage auch noch betonte, dass dieses Stück nur ein leichter Vorgeschmack auf das nun folgende sechsteilige ‘Witches Brew’ war, da nutzten dann doch einige Menschen, den Moment, die Halle zu verlassen, bevor das Stück angefangen hatte. Wahrscheinlich war es auch besser so, denn die Mischung aus Math Jazz und Progressive Rock, die die Monika Roscher im Folgenden über das Publikum hereinbrechen ließ, war in Sachen Jazz wohl das am weitesten vom Quasthoff Trio entfernte Extrem, das man sich vorstellen konnte. Wunderbar mit anzusehen war, dass aus Monika Roschers Bigband so ziemlich jeder einmal die erste Geige spielen darf. Denn während des Konzertes durfte jeder einzelne der 18 Musiker zumindest einmal, manche auch öfter, nach vorne in die Mitte der Bühne treten, und auf seinem Instrument solieren. Lediglich der Keyboarder kam nicht zu dieser Ehre, was allerdings auch nicht nötig war, denn seine vielen kleinen Mini-Soli, die immer wieder das Soundbild durchstachen, waren über das gesamte Konzert hinweg präsent.
Nach diesem Parforceritt war das im Vergleich auf leichten Schwingen daherkommende ‘Firebird’ eine willkommene Abwechslung. Obwohl es mit wilden Bläsersätzen versehen war, schwebte Monika Roschers Gesang hier wie ein bunter Vogel. Noch besser wurde es allerdings mit ‘8 Prinzessinnen’, einer Geschichte über acht Königstöchter, die sich vor Gericht verantworten müssen, da sie das Polarlicht stehlen wollten. Ein Stück, musikalisch genauso irrwitzig wie sein Text, in dem komplizierte Math-Jazz-Arrangements auf die Eingängigkeit der Pop-Musik treffen und das zurecht den Deutschen Jazzpreis für die Komposition des Jahres gewann.
Das vielleicht am tiefsten im Jazz verwurzelte Stück war das nun folgende ‘Creatures Of Dawn’, das in seinen Instrumental-Passagen starken Improvisations-Charakter aufwies, was wohl auch daran lag, dass die einzelnen Akteure während ihrer Soli eine gewisse musikalische Freiheit besaßen. Dass “Witchy Activities And The Maple Death” keine Eintagsfliege ist, bewies die Bigband im abschließenden ‘Illusion’, einer beschwingten Nummer, die aufgrund ihrer eingängigen Hookline die Lead-Single des 2016er Vorgänger-Albums “Of Monsters And Birds” war. Ein Umstand, der allerdings nicht darüber hinwegtäuschen darf, was hier an den Instrumenten, insbesondere bei den Bläsern, passierte: Auf einer Gitarre hätte man das wohl Shredding genannt.
Tosender Applaus und Begeisterungsstürme brandeten auf, als die Monika Roscher Bigband das Hauptset mit diesem Stück beendete. Zurecht, denn jeder, der die Oper bis dato nicht verlassen hatte – und das waren 90 Prozent der Besucher – war Zeuge eines Konzertes geworden, das mit Sicherheit als Sternstunde in die Geschichte des Jazzfests eingehen wird.
Doch war noch nicht Schluss, schließlich wollte man dem Publikum noch ‘A Taste Of The Apocalypse’ geben. Danach fürchtete sich wohl kein Zuschauer mehr vor dem Weltenende, denn wenn dieses genauso bittersüß daherkommt wie diese Nummer, dann werden wir als Menschheit beschwingt in unseren Untergang laufen. Augen zu und Spaß dabei!
Dass als letzte Nummer dann ein Instrumental folgte, war fast schon konsequent. Nach so vielen Texten zwischen Ernsthaftigkeit und Märchenwelten war es erfreulich, ein Stück lang ein Stück weit das Hirn ausschalten und sich noch intensiver auf die Musik einlassen zu können. ‘When I Fall In Love’ vom 2012er Debüt-Album “Failure In Wonderland” ermöglichte dies und zeigte abschließend nicht nur auf, welche musikalische Entwicklung die Monika Roscher Bigband durchgemacht hat, sondern gab der Bandleaderin auch noch einmal die Möglichkeit, ihre hervorragenden Qualitäten als Gitarristin zu demonstrieren.
Alles in allem ein heißer Kandidat für das Konzert des Jahres!
Fotos: Heike Fischer
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Venue: Opernhaus Bonn