(64:00, CD, Digital, Odusseia, 03.03.2023)
Die Band, oder besser, das Projekt Free Human Zoo erblickte 2011 das Licht der Welt, als sich die beiden Musiker Gilles Le Rest und Laurent SkoczekK zusammenfanden, um ein musikalisches Abenteuer zu wagen. Ursprünglich verwurzelt im Jazz, sollte der musikalische Rahmen weit offener gespannt werden. Gilles beschreibt es selbst so, dass das “neue Projekt als Kreuzung vieler verschiedener Wege angesehen werden soll.” Er nennt den Begriff “Hybridisierung”, um der angestrebten Melange aus Rock, Jazz, Pop, Minimal-Music, Folk und klassischer Romantik einen griffigen Namen zu geben.
Zum Erstkontakt des Autors mit Free Human Zoo kam es zur Freakshow 2021 in Würzburg. Die Band hatte soeben das Material der vorliegenden Veröffentlichung ganz frisch, jedoch mit reduzierter Mannschaft, am Start. Umso gespannter durfte man sein, diese Formation in Gänze und vollständig eingespielt erleben zu dürfen. Geschehen dann im März 2024 zum Soleil-Zeuhl-Festival in Paris. Und es war in der Tat die erhoffte Offenbarung. Die Band spielte die komplette CD in einem Ritt traumwandlerisch sicher und wie entfesselt in die berauschte Menge hinein. Solche Konzerte bleiben fürs Leben.
Soviel dazu, nun also der Tonträger…
Das Album wird, je länger man sich damit beschäftigt, immer interessanter und ist in seiner Tiefe nicht ganz einfach zu erfassen. Viel Verstecktes, Mysteriöses und auch Persönliches wartet darauf, entdeckt und entschlüsselt zu werden. Ja, es ist ein Konzeptalbum, jedoch nicht im Sinne der klassischen Prog-Konzept-Alben, sondern eine an mehrere Quellen angeschlossene freie Assoziation freier Musiker mit freien Stilmitteln. Die Kern-Erzählung ist Jule Vernes Roman “L’Île Mystérieuse” (Die geheimnisvolle Insel), er bildet den faktischen Rahmen ab. Die Band geht aber noch viel weiter, denn die Musik bezieht sich zusätzlich auf die filmische Umsetzung des Romans, und zwar auf eine mehrteilige Fernsehserie aus den frühen 70er Jahren, die älteren Leser erinnern sich mit Sicherheit an Omar Sharif als Kapitän Nemo. Auch in Deutschland durfte die Serie verzaubern. Des Weiteren wird der Original-Soundtrack der Serie verarbeitet, die von Gianni Ferrio 1973 erschaffen wurde und als Tonträger ebenfalls vorliegt, “L’Isola Misteriosa E Il Capitano Nemo”. Unten unter “Kontext” der Link dazu. Zu guter Letzt wird noch der Roman “Vendredi ou les Limbes du Pacifique” von Michel Tournier aus dem Jahre 1967 verarbeitet – der Roman bietet eine Variante auf den Mythos von Daniel Defoes Robinson Crusoe. Diese besondere Version legt den Schwerpunkt auf die Beziehung zwischen dem schiffbrüchigen Robinson und dem damals sogenannten “Wilden” Freitag.
Das gesamte Album ist zwar in einzelne Titel gegliedert, aber im Grunde handelt es sich um ein einziges, kompaktes, über eine Stunde währendes Stück. Es beginnt, wie Film und Roman, mit stiller, beinahe sanfter Einstimmung und nimmt im Laufe seiner Dauer immer mehr an Dramatik, Dynamik und furioser Energieausschüttung zu. Das Fundament liefert unbestritten das Schlagzeugspiel von Gilles Le Rest, er schmeichelt, treibt und liebt. Sein Spiel wirkt unglaublich organisch, seine Musiker-Kollegen scheinen daher nicht AUF seinem Fundament zu spielen, er ist mitten unter ihnen, spricht mit ihnen, laut und leise, zurückhaltend und fordernd. Ein großer Drummer! Der Stil des Ensembles mäandert immer wieder umher, bewegt sich zwischen Jazz, Progressive Rock und klassischen Elementen, die Musiker nähern sich an, entfernen sich voneinander und finden sich doch immer wieder ganz nah beieinander zusammen. Es ist ein Wechselspiel von disziplinierter Gruppenarbeit und konsequenter Individualität. Die ganz tiefliegende Seele jedoch schimmert immer in Form von zeuhliger, himmlischer Schönheit und Wildheit durch jede Note hindurch. Sie ist der Kitt des Ganzen, das Bindemittel des Kollektivs. Die musikalischen Grenzen sind sehr durchlässig, alle Beteiligten bekommen ihren Freiraum, und sie nehmen ihn sich, das Ergebnis sind phänomenale Solo-Passagen, die Musiker greifen sich das Thema und treiben es auf ihre persönliche Art an. So werden zunächst harmlos beginnende Passagen unvermittelt zu höllischen Exzessen.
Zum Probehören sollen diese drei Stücke dienen, das zweite, noch sehr ruhige, einführende (Eröffnungs-)Stück, sowie zwei weitere der oben angesprochenen ungezügelten Dynamik.
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Das Album ist musikalisch groß angelegt – große Besetzung, große Namen. Alleine, dass Stella Vander hier die Eröffnung singt, ist ein großartiger Brückenschlag zu den anderen Größen der französischen Szene. Es ist aber auch groß angelegt in der Thematik, es ist opulent ausgestaltet mit Booklet und vielen Informationen. Ein Werk voller Geheimnisse, persönlicher Erinnerungen und Einblicken. Wir haben die Ehre, daran teilzuhaben.
Die (persönliche) Bewertung kratzt an der für ganz große Werke französischer Musik. Großes Kino!
Bewertung: 13/15 Punkten
Line-up:
Gilles Le Rest – drums, voc, glockenspiel
Laurent Skoczek – trombone
Camille Petit – piano, synth
Matthieu Metzger – sax
Alexis Delva – git
Béla Bluche – bass, double bass
Gastmusiker:
Marie-Caroline Revanche (Lousse) – voc
Stella Vander – voc
Marcus Linon – voc
Jocelyn Mienniel – flute
Alle Kompositionen stammen von Gilles Le Rest, außer 2-3-4-11 und 13 (Gianni Ferrio).
Die Texte stammen von Gilles Le Rest, außer 2 und 12 (Christine FONTANE).
Die Arrangements stammen von Laurent Skoczek und Gille Le Rest, die Endfassung des Textes von Laurent Skoczek.
Surftipps zu Free Human Zoo:
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Kontext:
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Abbildungen: Free Human Zoo
2 Kommentare
hey, baby!!!
schön hast du das geschrieben, und ich kann auch nachvollziehen, daß du den antrieb für die rezension erst nach dem konzert in paris in dir gefühlt hast!!!
Danke für die Rückmeldung. Ich habe in Paris mehrmals an Dich gedacht. Du wärst zerflossen bei dem Konzert 😉