Thomas Glönkler, ehemaliger Gitarrist der deutschen Prog-Formation ICU, ist nach langer Pause mit einem neuen Album zurück, das kürzlich hier vorgestellt worden ist. Ein durchaus bemerkenswertes Album, das Anlass genug ist, die Aktivitäten des Künstlers zu hinterfragen.
Du bist zum ersten Mal durch dein Mitwirken bei ICU in Erscheinung getreten (zumindest für mich). War dies deine erste Station als Musiker?
Im Prinzip ja. In der Anfangsphase von ICU zu Beginn der 90er hatte ich noch ein kleines Zweimannprojekt am Laufen, das nannte sich Teacake. Wir haben damals auf 4-Spur ein Tape mit vier Songs produziert. Das ambitionierteste an dem Ganzen war aber die Covergestaltung, für die uns eine Idee im Stile von Hipgnosis kam. Also haben wir sämtliche Instrumente, Mobiliar usw. zu einer ausgesuchten einsamen Stelle im Wald transportiert und uns dort “zur Teestunde” fotografisch in Szene gesetzt. Hat großen Spaß gemacht.
Welche Erfahrungen hast du in der Zeit als Bandmitglied mitgenommen und könntest du dir vorstellen, wieder in einer Band zu spielen? Oder ist es für dich eher klar, nur solo zu arbeiten?
Ich könnte mir gut vorstellen, auch mal wieder in einer Band zu spielen. Es ist ein tolles Gefühlt, zusammen mit anderen, kreative Dinge zu produzieren und das Ganze dann als Band zu präsentieren. Das hat so eine schöne Gang-Mentalität, die mir allein natürlich völlig abgeht. Das vermisse ich schon. Auf der anderen Seite bräuchte ich eben ein Ventil, um die vielen Ideen, die ich habe, ohne allzu viele Kompromisse zu verwirklichen. Müsste ich dann nebenher erledigen. Und da kommt dann leider der Zeitfaktor unschön dazwischen.
Aus dem Jahr 1997 stammte das letzte Studioalbum von ICU. In den 2000ern sind dann Live Aufnahmen auf dem Weltenblau-Label veröffentlicht worden. Gab es auch mal Gedanken zu einer Re-Union oder war dies nie ein Thema?
Das war selten bis nie ein Thema. Ich glaube, es ist allen klar, dass es komplett unrealistisch wäre, an ein solches Szenario auch nur zu denken. Dazu sind wir alle viel zu sehr verstreut und haben uns zu sehr in verschiedene Richtungen entwickelt. Wir haben uns vor einigen Jahren mal getroffen, um das Jubiläum unseres ersten Auftritts zu feiern. Da haben wir ein paar der alten Songs gespielt – war aber nur zum Privatvergnügen. Und das war vielleicht auch besser so.
Erzähl doch bitte mal etwas zu Weltenblau.
Weltenblau ist das Label, unter dem ich all meine Sachen veröffentliche. Seit Teacake-Zeiten heißt mein Heimstudio “Blue World”. Davon ist der Name abgeleitet. Ich fand ihn immer richtig gut und werde ich auch weiter benutzen. Aber ein richtiges Label ist es natürlich nicht.
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2005 erschien dann dein erstes Soloalbum “Auszeit”, fünf Jahre später folgte das Konzeptalbum “Goldstadt”. Vielleicht ein paar Bemerkungen zu diesen Alben?
“Auszeit” ist ein reines Instrumentalalbum, das damals noch auf dem 4-Spurgerät entstanden ist. Es ist sehr gitarren- und flötenorientiert und hat so ein bisschen diesen “Private Parts & Pieces”-Touch – vergleichbar mit manchen Tracks, die jetzt auf der Bonus-CD von “Tiefenland” gelandet sind. “Goldstadt” war dann schon um einiges ambitionierter, was Thema und Besetzung anging. Das Album handelt von der Zerstörung Pforzheims im Zweiten Weltkrieg und die Verarbeitung in der Nachkriegszeit. Das Thema der zerstörten Städte hatte mich damals schon eine Weile umgetrieben. Durch meine Schwiegereltern, die den Angriff erlebt haben, hatte ich dann noch einen sehr persönlichen Zugang zu Zeitzeugen, was für mich sehr hilfreich war. Am Thema Pforzheim konnte ich wie durch ein Brennglas die Schwierigkeiten deutscher Vergangenheitsbewätigung sehen, wie da z. B. bei der Hinwendung zu eigener Trauer immer gleich der Komplex der eigenen Schuld aufploppt, was die deutsche Traumabearbeitung enorm erschwert hat und bis heute erschwert. Diesen Fragen, bin ich damals – so gut ich konnte – nachgegangen.
Jetzt, nach rund 13 Jahren also ein neues Album. Offensichtlich hat sich viel Material angesammelt, sodass es zu einem Doppeldecker geworden ist. Warum hat es so lange gebraucht?
Das frage ich mich ab und zu selbst. Berufliche Zwänge haben es sicher nicht immer einfach gemacht, daran zu arbeiten. Was aber auch lang gedauert hat, war das Finden der endgültigen Form. Das war ein zäher Prozess, da habe ich immer wieder umgestellt und Songs rausgeschmissen. Jetzt hat das Ganze eine Struktur, die für mich dramaturgisch schlüssig ist. Ein gewisser Perfektionismus meinerseits und fehlende Mitstreiter haben den Prozess leider auch nicht gerade verkürzt. Im Prinzip würde ich ja gerne schneller arbeiten und nehme mir das für die Zukunft auch vor.
Wie hat sich deine Herangehensweise an Kompositionen und die Produktion eines neuen Albums im Laufe der Zeit verändert?
Die Entstehung der Songs hat sich nicht groß verändert. Manchmal werde ich von der Muse geküsst und manchmal fühlt es sich an wie harte Arbeit. Beides gehört für mich zum Schreiben von Liedern dazu. Was sich stark verändert hat sind die technischen Möglichkeiten, die es enorm erleichtern, die eigene Musik professionell aufzunehmen. Da musste man früher noch ordentlich viel Geld in die Hand nehmen. Heute kannst du das Meiste zuhause machen. Zum Mischen gehe ich aber nach wie vor ins Studio.
Es wird wieder auf Deutsch gesungen – war das von vorneherein so geplant? Hattest du dies bei der Suche nach einem Sänger direkt eingeplant?
Das war seit Goldstadt mehr oder weniger klar. Deutsch ist mir einfach näher, hat aber seine Tücken. Ich glaube trotzdem, dass es (für einen deutschen Muttersprachler) authentischer ist als Englisch, wenn auch nicht so dankbar zu singen.
“Tiefenland VOL. 2”.
Wie bist du letztendlich bei Alex Hanafi gelandet?
Alex ist über Goldstadt auf mich aufmerksam geworden. Er hat damals in der Offenburger Progband Yosemite Rain gesungen. Als wir uns getroffen haben, haben wir schnell gemerkt, dass die Chemie stimmt. Er hat dann recht schnell die ersten Demos zu “Tiefenland” eingesungen. Der erste Song, den wir aufgenommen haben, heißt ‘Zurück ins Paradies’ – er hat es nicht auf das Album geschafft, sondern kommt erst auf “Tiefenland VOL. 2”.
Letztlich kann man es auch als einen Lebensleitfaden vom Vater zum Sohn sehen.
Was bedeutet eigentlich “Tiefenland”? Worum geht es auf diesem Album?
Der Titel geht auf meinen Sohn zurück, der als kleiner Junge immer von “Tiefenland” erzählt hat. Er hat damals viele Geschichten erzählt, was er dort alles erlebt hat. Damals entstanden mit ihm auch die Fotos für das Album-Artwork im Berchtesgadener Land. Das alles hat mich inspiriert, über dieses “Tiefenland” zu schreiben. Im Laufe der Jahre kamen dann immer wieder neue Aspekte dazu: Woher wir kommen, wohin wir gehen, philosophische Gedanken, aber auch der Umgang mit Krisen und Rückschlägen im Leben. Letztlich kann man es auch als einen Lebensleitfaden vom Vater zum Sohn sehen. Das ist mir aber auch kürzlich erst so richtig klargeworden.
Wenn du ein paar Stichwörter angeben müsstest, welche Art von Musik den Hörer erwartet, was würdest du wählen? Labels as… Progressive, ArtPop, Singer/Songwriter?
Die Platte ist sehr vielschichtig. Artrock trifft es wahrscheinlich am besten. Aber alles, was du aufgezählt hast, trifft irgendwie ja auch zu. Die Stärke des Albums liegt für mich im Konzept und der Emotionalität der Texte und der Musik. Ich vergleiche es vom Ansatz her gerne mit den gelungenen Konzeptalben der 80er, wo du formal den großen epischen Wurf hast, aber im Kleinen durchaus auch mal ein Pop- oder Rocksong auftaucht. Manchmal auch nur als Teil eines längeren Stückes, das im gesamten dann wieder echt proggy sein kann. … Ist schwer zu beschreiben.
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Und welche Adjektive würdest du speziell für “Tiefenland” wählen? Zum Beispiel melancholisch?
Ja das passt. Nachdenklich, romantisch, bittersüß, durchaus düster, aber auch immer wieder aufbauend. Das wären weitere Wörter, die in großen Teilen auf das Album passen.
Höre ich eigentlich an manchen Stellen dezente Mellotronsounds?
Ja, klar, richtig gehört. Ich liebe den Sound des Mellotrons. Ist aber – wie du sagtest – recht dezent eingesetzt auf dem Album. Ich finde, dieser spezielle Sound hat so eine große Bedeutung in der Musikgeschichte seit den Siebzigern, dass ich ihn nicht leichtfertig benutzen wollte. Ich frage mich da jedes Mal kritisch, ob die besagte Stelle den Sound “verdient” hat oder nicht.
Schaut man sich die Bonus-CD an, könnte man vermuten, dass es auch schon eher ein komplettes Album hätte geben können – warum also erst jetzt als Bonus-CD?
Ist natürlich nur subjektiv zu erklären, warum diese Tracks teilweise auf der Bonus-CD und nicht auf dem Album gelandet sind. Wie ich vorher gesagt habe: Die Dramaturgie des Albums ist mir sehr wichtig. Manche Stücke habe ich schweren Herzens rausgestrichen, da ich fand, dass sie den Ablauf stören. Was nicht für Vol. 2 vorgesehen ist, kam dann auf die Bonus-CD. Es hatte sich über die Jahre aber auch einfach sehr viel angesammelt und es wird dann irgendwann unübersichtlich. Für mich war es ein bisschen wie “das Regal leerräumen” und jetzt kann ich wieder in aufgeräumter Umgebung arbeiten.
Erzähl doch bitte etwas zum Hintergrund der ‘Island Suite’.
Das war eine Sache, die “im Regal lag” und die ich gerne aufgeräumt habe. Ein Freund von Alex hatte eine Veröffentlichung zu ‘Island’ geplant und uns gebeten, dafür einen Song zu schreiben. Das haben wir 2014 getan, der Song heißt ‘Stones And Light’– diesen kleinen Popsong kannst du auf YouTube finden. Parallel dazu habe ich einige kurze Stücke zu isländischen Landschaften gemacht und damit meine beiden Aufenthalte in den Neunzigern dort musikalisch verarbeitet. Da es eher nur Fragmente sind, fand ich sie als Zugabe gut aufgehoben auf der Bonus-CD.
Gibt es die Chance, dich irgendwann auch mal wieder live auf der Bühne zu erleben, vielleicht ja mit “Tiefenland”?
Zur Releaseparty haben wir ein paar Songs in kleiner Besetzung gepielt. Möglich wäre es. Und Lust haben wir auch. Mal sehen, was sich daraus entwickelt. Vielleicht machen wir ja tatsächlich was in 2024.
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Woher kann der geneigte Fan das Album beziehen und in welchen Varianten?
Das Album ist in limitierter Edition als 2CD und Gatefold-Doppel-Vinyl erschienen. Beide Versionen enthalten die Bonus-CD und sind reichhaltig ausgestattet. Erhältlich sind sie entweder auf meiner Bandcamp-Seite oder über Just for Kicks.
Was ist deine Meinung zu Spotify?
Sehr gespalten. Ich bin nicht einverstanden mit der zunehmenden Entwertung von handgemachter Musik, sehe aber die Veränderung der Hörgewohnheiten als unumkehrbar an. Da kommst du als Künstler schnell in einen Zwiespalt. Ich habe “Tiefenland” bisher noch nicht auf die digitalen Streamingportale gestellt (auf Bandcamp kann man es streamen und kaufen, d. Schlussred.). Möglicherweise hole ich das noch nach. Ich habe mich noch nicht endgültig entschieden, wie ich damit umgehen will.
Welche Musik hört denn der Musiker Thomas Glönkler selbst, wenn er nicht gerade eigene Musik komponiert?
Alles, was mir gefällt und mich emotional abholt. Also durchaus quer durch den Gemüsegarten. In letzter Zeit auch wieder vermehrt Klassik oder die alten Helden. Habe z. B. in den letzten Wochen viel David Sylvian oder die späten Talk Talk gehört. Da ich oft im örtlichen Plattenladen einkaufe, vergrößert sich meine Vinylsammlung stetig und dort nehme ich meist tolle Sachen aus den Siebzigern und Achtzigern mit. Die werden dann zuhause entdeckt oder oft auch wiederentdeckt.
Was wären deine persönlichen Top Five aus diesem Jahr?
Wenn ich ehrlich bin, hat mich dieses Jahr nichts, was ich gehört habe, so richtig vom Hocker gehauen. Ich tue mich ein bisschen schwer, jetzt ein Album herauszugreifen. Aus alter Verbundenheit am ehesten i/o von Peter Gabriel, da ich ihn als Künstler sehr verehre. Die Tatsache, dass er in seinem Alter noch immer relevante Songs schreibt, für die er richtig “brennt”, finde ich erstaunlich. Das hat mich sehr positiv überrascht und berührt.
Noch eine abschließende Bemerkung?
“Tiefenland” muss man Zeit geben und das Album am besten am Stück hören. Ich glaube, nur so entfaltet es sein ganzes Potential.
Ich danke allen, die daran interessiert sind, dem Album eine Chance zu geben… und jetzt bis zum Ende des Interviews durchgehalten haben.
Surftipps zu Thomas Glönkler:
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ProgArchives (I.C.U.)
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Rezension “Tiefenland” (2023)
Interview im PNL (2010)
Rezension “Goldstadt” (2010)
Rezension “Auszeit” (2005)
Abbildungen: Thomas Glönkler / Weltenblau