(43:08, 38:45; Digital, 2CD, 2LP; Black Space Records/Cargo; 21.10.2022)
Münster, 15.06.22, 22:30, die Pogo-Woge bricht über mir zusammen. Die Frisur hält. Kein Wunder, hier wird ja auch Pinkus Drei Wetter Saft ausgeschenkt.
Worum geht’s überhaupt? Um den ersten Auftritt der Black Space Riders seit (für jedermann) bitteren Corona-Jahren. In ihrer Hood. Eine Gig-ausgehungerte Gang, teils durchaus respektablen Alters, freut sich sichtlich wie junge Hunde über jede Minute auf der Bühne, jede Publikumsregung. Gerade Letzteres ist allerdings auch enorm nachvollziehbar. Reden wir doch von einem stur-westfälischen Auditorium, das in der kuschlig-kultigen Sputnikhalle ab Song eins oder zwei so eben mal wie vor Wackens Black Metal Stage ausrastet. Und von keinem von uns je vorab gehörtes Material aus vollem Halse mitsingt, als müsste das so sein: ‘Crawling’, ‘Trapped’, ‘Fear No More’, vor allem aber den Instant Crowd Pleaser ‘Queen Of The Light’.
Was das alles mit dieser Pladdenbesprechung zu tun hat? Nichts. Und alles. Denn die genannten neuen Songs sind inzwischen fein ordentlich erschienen, auf dem ersten BSR-Dröhnträger seit 2018. Und machen darauf ähnlich froh, wie es – noch lange nachwirkend – dieses Konzert getan hatte.
Erst mal das Optische, Haptische. Im Soundbüro rotieren tut die Edition als Doppel-CD, der man wohltuend anmerkt, dass hier Menschen leidenschaftlich “in Vinyl” bzw. “in Hardware” fühlen und denken. Sprich: CD1 heißt hier A-B, CD2 heißt youknowschon. Das laminierte schwarz-weiße Cover-Artwork ist ohnehin eine Pracht – funktioniert aber bemerkenswerterweise auch in der Miniaturisierung des CD-Formats. Die Innenhülle des Klapp-Pappschubers zieren, genau wie bei manch einer vergötterten historischen Doppel-LP, sämtliche Texte in einer noch lesbaren, augenfreundlichen Typo. Das alles, jedes liebevoll gestaltete Detail, ist m.E. leider wirklich recht selten geworden im Streaming-Zeitalter.
Dann noch zur “Message”. Es sieht nicht so aus, als ob wir es hier erneut mit einem allumfassenden Gesamtkonzept zu tun haben wie bei der zweiteiligen Liebesfibel “Armoretum” oder dem so wütend (wg. der Relevanz) wie glücklich (wg. der Schönheit) machenden “Refugeeum”. Das erschütternd die Perspektive von zur Flucht Gezwungenen auf dieser oft zunehmend nach Endzeitfilm ausschauenden Welt einnimmt.
Doch um echte Herzensangelegenheiten scheint es auch hier zu gehen. Um Schlaglichter auf ur-persönliche, individuelle wie gesamtgesellschaftliche Schieflagen. Die aber als Aufforderungen oder fromme Wünsche zum Besseren hin formuliert werden, (‘Crawling’):
Down with lies and fake narration
Down with lethal thoughts in action
Self destructive downward spiral
Everyone full of denial.
Das Ganze aber nicht weinerlich-vorwurfsvoll vorgetragen, sondern von dem animierenden, positiven, Hüpf-induzierenden Mega-Groove getragen, den sich die Münsteraner patentieren lassen könnten. Und mit einem tröstenden Slide-Gitarren-Sahnehäubchen verziert.
‘Trapped in An Endless Loop’ ist ein erster Höhepunkt. Bei dem unbarmherzig rockenden, mit einem phantastischen Refrain ausgestatten Song scheint es u.a. um das zum Scheitern verurteilte, sinnlose und inzwischen sogar saugefährliche Festhalten an tradierten Vorstellungen von ewigem Wachstum zu gehen. Oder doch um etwas ganz anderes?
Gotta go, gotta move to the level, to the level of perfection
(…)
No, not again – We’ve been here before.
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Das langsame, tastende, reduziert instrumentierte ‘Almost (the) Lost’ ist ein ganz anderes Kaliber. Und will es auch sein. Der Sprechgesang, die sanft flirrenden Gitarrenfiguren bezaubern ebenso wie der wunderbar wiegende Bass. Bass”lauf” wäre hier falsch, das ist ein Bass-Waldspaziergang im sanft fallenden Regen.
Das gleichfalls ruhige und dennoch fließende, sacht Fahrt aufnehmende ‘This Flow’ beschwört – genau – den Flow, den Kreislauf einer natürlichen Gesetzen gehorchenden und darum funktionierenden Existenz:
Together we will keep this flow alive appealing to our hearts
Sun goes down, sun goes up again my friend
‘Shine’ beginnt mit einem typischen, unheilverkündenden BSR-Basslauf vor verwehenden Keyboard-Schwaden, nur um dann umso heftiger in einen strammen Rocker zu explodieren. Und dennoch bleibt auch hier alles doppelbödig.
Born to shine … but confidence is fragile.
Doubt corrodes enlightened souls.
Der resultierende #Aufschrei ‘AAAAAAAAAAARRRRRRGGGH’ spricht vermutlich für sich selbst.
Wer kennt das Gefühl hinter diesem Gebrüll nicht?
Ganz konkret aber geht es hier vielleicht um eine Verschmelzung der zentralen Themen von “Refugeeum” und “Arboretum” – nämlich um die Flucht vor toxischen “Liebes”beziehungen:
“You gonna end up lonesome!”
“Alone is better than with you.”
Höchste Zeit für das Titelstück, dessen Name und Textzeile “We Have Been Here Before” etliche der Stücke durchzieht – also doch ein Gesamt-Konzept?
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Das tatsächlich betörend schöne ‘Beautiful’ beschwört erneut (und hier mit einem besonders hypnotischen Riddim) das – trotz allem, immer noch – Gute, Attraktive, Lebenswerte:
There’s a time after the fall
‘Fear No More’ erscheint als eine in (prächtige) Musik gegossene kleine Auto-Suggestion für Menschen mit kleinen, vielleicht aber auch riesigen Ängsten – also für uns alle, soweit wir uns das halt einzugestehen bereit sind.
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‘In Dust’ hingegen ist nun endgültig ein Reggae. In den titelnden Staub scheint sich jede Menge orientalischer Wüstensand zu mischen. Herrlich, ein weiteres Album-Highlight der Black Bellydance Riders.
‘Leaving The Hill’ hört Ihr Euch bitte bitte einfach mal selbst ganz in Ruhe an. Das Ding ist ein Roman, mindestens aber eine Kurzgeschichte in 6:05. Und belohnt jede Sekunde, die man sich damit beschäftigt.
‘A Whisper’ fragt mit ausgesprochen cineastischen, sprachlichen und musikalischen Wendungen nach einem Ankerpunkt im “Täglich grüßt das Murmeltier” der Neuzeit-Existenz. Liefert aber natürlich keine plakativen “To Go”-Antworten (außer vielleicht Geflüsterte). Die müssen wir also wohl selber suchen…
Searching orientation.
I’m trapped in a game.
Losing myself again and again.
In a vast sea of emotions where memories remain.
(…)
Where is the hold?
Von dem, was die ‘Queen Of The Light’ einem nichts ahnenden westfälischen Publikum anzutun vermag, war ja ganz weit oben schon die Rede. Tanzt. Tanzt, genauso, wie es Euch gefällt. But dance, m***ers.
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Die Band existiert seit 2008. Hat m.E. noch kein schlechtes oder den Vorgängern nennenswert ähnelndes Album herausgebracht. Und wird doch tatsächlich immer noch geiler. Hut ab!
Kann die Regie bitte mal einen Hut einspielen? Danke.
Bewertung: 13/15 Punkten (CA 12, KR 13)
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Line-up:
C. RIP – Drums, Percussions, Didgeridoo
JE – Lyrics, Lead Vocals, Guitars, Keyboards
MEI – Bass, Background Vocals
SEB – Lyrics, Keyboards, Percussions
SLI – Guitars, Shouting
Production: Peter Lagoda, JE w/ BSR
Surftipps zu Black Space Riders:
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Wikipedia
Rezension “Amoretum Vol. 2” (2018)
Rezension “Amoretum Vol. 1” (2018)
Konzertbericht 20.05.16, Essen, Turock (mit Subsignal, Dante)
JE und SEB im betreuten Interview zu “Refugeeum” (2015)
Konzertbericht11.09.15, Köln, MTC (mit Knall )
Rezension “D:rei” (2014)
Abbildungen: Jacob Maser (Cover Artwork) / BSR
Live-Foto Sputnikhalle 06/22: Autor