Reise in eine längst vergangene Zeit
Vor Monaten kündigten Maria Franz, Christopher Juul sowie Kai Uwe Faust als die drei kreativen Geister hinter Heilung an, nach der diesjährigen Tour, die den Tross bis in den August hin noch quer durch Europa ziehen lässt, eine Auszeit unbestimmter Länge zu nehmen. Die inneren Batterien müssen wieder aufgeladen werden. Aber bis es schließlich im Sommer zur Auszeit kommt, touren Heilung halt noch fleißig und machten vor einigen Tagen in der natürlich ausverkauften Turbinenhalle in Oberhausen Halt.
Den Support Slot auf dieser Reise ergatterte sich Eivør Pálsdóttir, die Sängerin von den Faröer Inseln, deren Konzert im Rahmen ihrer eigenen Tour wir noch im Oktober 2024 beiwohnen durften. Als Support Act durfte die stimmgewaltige Sängerin immerhin 40 Minuten performen, präsentierte dabei sechs Songs, bei denen sie kein spezielles Album aus ihrer Karriere in den Fokus holte.
Vielmehr bot Eivør eine dem Hauptact des Abends zuträgliche Setlist, die zumindest in Teilen den Duft des Mittelalters verströmt. Das ganz wunderbare ‘Trøllabundin’ drängte sich hier natürlich auf. Und auch mit ‘Hymn 49’ wählte die Sängerin einen Track, der Teilen des Publikums vielleicht bekannt vorkam, stammt er doch aus dem Soundtrack der im Mittelalter spielenden TV Serie “The Last Kingdom”, die womöglich von manchem Heilung Fan durchgesuchtet wurde. Tatsächlich sahen in Oberhausen einige der Fans, die sich für diesen Abend in Schale warfen, so aus, als stammten sie direkt aus der Serie.
Eivør lieferte zusammen mit ihrer Band (zwei Keyboarder und ein Drummer) wie bereits im Oktober 2024 einen sehr souveränen Auftritt, bei dem die Sängerin einmal mehr stimmlich zu begeistern wusste und klar der Dreh- und Angelpunkt des Quartetts war.
Nach einer ausgedehnten Umbaupause war die Zeit um Punkt 21 Uhr reif für Heilung. Wie gehabt startete die Band nicht direktamente wie eine gewöhntliche Band mit dem ersten Song. Vielmehr zelebrierten Heilung die minutenlange Eröffnungszeremonie, bei der anfangs lediglich Kai Uwe Faust die Bühne betrat und mit Duftschälchen und Wedel bewaffnet Palo-Santo-, Salbei- und Beifuß-Düfte verteilte und dabei offenbar eine schamanische Rauchreinigung vollzog. Nach und nach füllte sich die Bühne und man bekam einen guten Eindruck davon, auf wie viele Leute das Trio Heilung auf einer Tour anwächst. Knapp 20 Menschen standen nun also auf der Bühne und bildeten einen Kreis. Gemeinsam wiederholten sie als Chor die von Kai Uwe Faust gesprochenen Worte “Remember that we all are brothers / All people, beast, tree and stone and wind / We all descend from the one great being / That was always there / Before people lived and named it / Before the first seed sprouted” und führten so die Eingangszeremonie in aller Ruhe zum Ende.
Mit ‘In Maidjan’ begann schließlich der musikalische Teil des Heilung-Konzerts. Im hinteren der Teil der Bühne, die optisch einer Waldlichtung gleich kam, platzierten sich vier Percussionisten, die fortan mit voller Leidenschaft auf die je zwei großen Standpauken eindroschen. Vorne links fand sich der Arbeitsbereich von Christopher Juul, der neben einer Pauke einen Synthesizer, das wohl einzig zeitgemäße Musikinstrument, bediente. Vorne rechts fanden sich mit Annicke Shireen und Mira Ceti zwei Sängerinnen wieder. Erstgenannte Künstlerin ist seit einiger Zeit festes Mitglied von Pure Reason Revolution und damit auch Progressive Rock zugewandten Fans durchaus ein Begriff. Zusammen sorgten die beiden Damen für noch mehr Vielfalt beim Gesang, für den sich ansonsten die Stammkräfte Maria Franz und Kai Uwe Faust verantwortlich zeigten, wobei Letztgenannnter immer wieder durch seinen Kehlkopfgesang beeindrucken konnte.
Musikalisch waren die nicht ganz zwei Stunden des Auftritts verhältnismäßig einfache Kost. Der Fokus lag deutlich auf der Percussion. Die Percussionisten, die am hinteren Rand wie im Rausch auf die großen Standpauken hämmerten, gaben klar den Ton an. Hin und wieder sorgten Maria Franz oder auch Mira Ceti durch den Einsatz von obskuren Saiteninstrumente für melodische Tupfer. Bei ‘Anoana’ gegen Ende des Rituals stand dann tatsächlich die Melodie auch mal komplett im Vordergrund. Aber generell gestaltete sich dieser Auftritt als Percussion Orgie, die allerdings so mitriss, dass einige Fans im oberen Bereich der Turbinenhalle sich wie in Trance ganz dem Klang der Trommeln hingaben.
Es waren andere Dinge, die den Auftritt von Heilung zu einem absoluten Highlight machten. Zum Beispiel die Optik. Allein das Bühnensetting wirkte ungemein stimmungsvoll. Aber auch die knapp 20 Musiker, die sich teilweise auf der Bühne aufhielten, rundeten das ganze optische Erscheinungsbild prächtig ab. Sie alle wirkten wie aus der Zeit gefallen. Und die Performance aller Beteiligten war durch die Bank weg ein wahre Augenweide. Alles hatte Hand und Fuß, wirkte bis ins letzte Detail durchdacht und perfekt choreographiert. Und was mir, der das ganze Konzert über auch fotografisch aktiv werden durfte, im Nachhinein beim Auswählen der Fotos mit am meisten beeindruckte: jede Tänzerin, jeder Tänzer, jeder Trommlerin, jeder Trommler, die Backgroundsängerinnen .. in jedem auf Foto gebannten Gesichtsausdruck der Beteiligten auf der Bühne konnte man die Leidenschaft und den Einsatz sehen, den jede Einzelne beziehungsweise jeder Einzelne in die Show steckte. Niemand spulte hier einfach nur Dienst nach Vorschrift ab. Auch die Leute, die sich auf der Bühne eher hinten oder im Dunklen aufhielten: sie alle waren so drin in der Show. Unfassbar beeindruckend.
Abgerundet wurde der hervorragende Eindruck durch eine erstklassige Lichtshow (selbst beim Support Act Eivør war das Licht besser als bei Eivørs eigenem Auftritt im Oktober 2024) und einen absolut perfekten Sound. Es ging schlicht und einfach nicht besser.
Wie eingangs erwähnt: Heilung werden ab August 2025 für eine ungewisse Zeit von der Bildfläche verschwinden. Und wir können nur hoffen, dass sich das Trio irgendwann wieder zusammensetzt, um diese Band wieder zu erwecken, denn: Heilung setzen Maßstäbe. Ihre Musik ist einzigartig, ihr Stil ist einzigartig, ihre Konzerte sind beängstigend intensiv. Tatsächlich spricht die Band über ihre Auftritte auch nicht von ‘Konzert’ sondern von ‘Ritual’. Und das passt wie die Faust auf’s Auge.
Fotos: Mister Ilms
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Rezensionen:
“Lifa Iotungard (Live At Red Rocks 2021)” (2024)
“Drif” (2022)
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Rezensionen:
“Enn” (2024)
Liveberichte:
05.10.24, Köln, Live Music Hall