»Vanden Plus«

Wenn Du wirklich lange (laut setlist.fm seit 2019) keine Clubs mehr gespielt hast, einen wichtigen Besetzungswechsel hattest, hungry as fuck bist und es besonders gut machen willst… Dann gibt es – natürlich – fuck-ups. Einen Vanden PLUS-Gig haben Vanden Plas in der Bonner Harmonie freilich trotzdem abgeliefert…

Was war denn los? Ach, technische Sperenzchen halt. Im Publikum nur kurz und kaum wahrnehmbar, aber selbstverständlich hat VdP-Frontmann und Musiktheater-Profi Andy Kuntz hyperventiliert, als sein Funk-Mikrofon gleich anfangs zunächst Aussetzer produzierte und dann den Dienst ganz quittierte. Die blitzschnell bereitgestellte Kabelvariante lieferte über die von allen getragenen In-Ear-Monitors anscheinend deutlich andere Ergebnisse als gewohnt. Woraufhin das Publikum auch mal in diese Erfahrung eingeweiht wurde: “Das ist das übelste Setting ever!” Tatsächlich aber war für uns alles gut.

Den Aufmacher gab ein in der Tat drückendes ‘Push’, bei dem man sich schon einmal an die größte vom Autor je in der Harmonie erlebten Lautstärke gewöhnen konnten. Selbst auf den Klos wackelten noch buchstäblich die Wände. Sauber und schmerzfrei blieb der Hörgenuss dennoch. Einzig Torsten Reicherts schöner Fünfsaiter schaffte es nicht so richtig, sich im Mix durchzusetzen. Ach ja, noch eine kleine Auffälligkeit: Auch eine häufig frontal krass blendende Lightshow erlebt man in Endenichs “guter Stube” ausgesprochen selten.

Also ‘Holes In The Sky’ – und nicht in den Trommelfellen, gut so. Toll auch, dass die Setlist dieses Bühnen-Comebacks im vierzigsten Jahr auch solches Uralt-Material (ihr erstes Video überhaupt) berücksichtigte. Das ließ verschmerzen, dass just für des Schmierfinken Lieblingslied von den lauten Lauterern kein Platz mehr auf der Setlist blieb.

Erscheinen nicht für jede Stunde, die Allessandro Del Vecchio mit Vanden Plas auf Tournee ist, mindestens drei Releases von Frontiers Records weniger? Wäre es so, würde es sich trotzdem lohnen. Der sympathische Lockenschopf ist ein würdiger Ersatz für den 2023 nach 30 Jahren Bandzugehörigkeit ausgestiegenen Günther Werno. Ausnahmsweise mal nicht auf Nord, sondern einem vergleichsweise kleinen Yamaha-Keyboard wechselt er in atemberaubenden Tempo zwischen fett röhrenden Orgel- und aparten, treibenden Piano-Passagen. Hervorragende Beispiele dafür lieferte nun ‘The Sacrilegious Mind Machine’ vom aktuellen Album. So könnten Dream Theater wohl mit einem kompetenten Sänger klingen… Ähnlich formulierte es ein Fan uns gegenüber auch nach dem Konzert: “Die müssten wirklich genauso große Hallen füllen wie Dream Theater. Ich sehe sie ja lieber in Clubs wie diesem, aber eigentlich…” Recht hat der Mann.

‘Far Off Grace’ bildete einen melodischen Ruhepol, bevor ‘Vision 3hree – Godmaker’ wieder die Bombast-Keule schwang. Als “eines unserer Lieblingsstücke. Und eines unserer Trademarks” wurde nun ‘Soul Survives’ anmoderiert. Hier gab es, wenn nicht dicke Tomaten auf den Ohren waren, teils auch französischsprachigen Gesang. Während des herrlichen Piano-Intros nutzte Drummer Andreas Lill die Gelegenheit, eine Banane zu verputzen. Mahlzeit!

Heavy gings weiter mit der ‘Cold December Night’, worauf ‘Sanctimonarium’ gleich mit Breitwandmelodien im Midtempo gegensteuerte. Zurück zum Piano, zur nachdenklichen, wunderschönen Ballade: ‘They Call Me God”.
Doch jetzt auf, Brüder zur Sonne, mit ‘My Icarian Flight’.

Zeit für den hymnischen ‚Rainmaker‘ mit der vielleicht stärksten Gesangsleistung des Abends. Andys Stimme ist immer noch makellos und kräftig. Wohl auch darum kann man ihm die permanente Publikumsanmache zwischen Kindergartenerzieher und Klaus Meine-Getue nicht wirklich krummnehmen: „Wir brauchen Eure Hilfe!“ ALLE Hände jetzt!“ „Wo sind die Hände?“


Und nun muss auch noch Zeit sein für eine kleine Liebeserklärung an Gitarrist der ersten Stunde Stephan Lill.

Was dieser höchstens mal bescheiden vor sich hinlächelnde Extremvirtuose ohne eine einzige große oder gar selbstgefällige Geste so abliefert (unfassbar schnelles, dabei sauberes Up-/Downstroke-Gefreake gefolgt von rasenden Tappings, als wäre das alles nix – und dabei stets melodisch und songdienlich), würde ihm in einer gerechten Welt die Teilnahme am G3-Wanderzirkus sichern. Mindestens die.



Natürlich waren Zugaben unvermeidlich. Und ‘Frequency’ und ‘Postcard To God’ legten tatsächlich nochmal eine Schüppe Energie nach.

Zweieinviertel Stunden feinster Progressive Metal aus deutschen Landen also.
Frühjahrsdepression? ProgMetal-Defizite im Blutbild?!? Wir wissen nicht, was Euer freundlicher Hausarzt da verschreiben würde, die Redaktion empfiehlt jedenfalls Vanden Plus Forte. Because it’s been a Vanden Pl(e)as(ure)!

Fotografie vor (und mal wieder auf) der Bühne: Harald Oppitz.

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Album- und Konzert-Besprechungen:
The Empyrean Equation Of The Long Lost Things (2024)
“The Ghost Xperiment: Illumination” (2020)
“The Ghost Xperiment: Awakening” (2019)
“Chronicles Of The Immortals – Netherworld Part I” (2014)
“The Seraphic Clockwork” (2010)
“Christ 0” (2006)
“Beyond Daylight” (2002) (KS)
“Beyond Daylight” (2002) (KR)
Festivalbericht ProgPower Europe (2001)
“Spirit Of Live” (2000)
“Far Off Grace” (1999)
“The God Thing” (1997)