Drive statt Doom!

Es gibt in unserer – dem Betreuungsauftrag entsprechend eher friedfertigen – Redaktion eine uralte Diskussion – fast Fehde – um Cover-/Tribute-Bands. Die einen – unsere Gralshüter – lehnen sowas als unter ihrer Würde und obendrein als Geschäftemacherei ab. Die anderen – die Pro/agmatiker – freuen sich über die Gelegenheit, Repertoire von Bands zu attraktiven Konditionen in gemütlichen Locations live erleben zu können, die teils lange vor ihrer Konzertgeh-Zeit das Zeitliche gesegnet haben. Die dritte Abteilung konsumiert sowieso alles nur via Vinyl auf Equipment im Wert eines durchschnittlichen Eigenheims (*Spaß*). Persönliche Haltung: Es kommt wie so oft darauf an. Zum einen gäbe es manche Prog-Band und unsere Lieblinge aus ihrem Oeuvre schlicht gar nicht ohne die Verdienstmöglichkeiten, die Tribute Gigs (und Gitarren-, Bass-, Schlagzeug-, oder Klavierstunden) bieten – außerdem hilft es den von Cover Acts meist gut gefüllten Clubs. Zum anderen findet der Autor zum Beispiel ‘Empire Of The Clouds’ von der “Cover-Band” Maiden uniteD erheblich stärker als das Original der NWOBHM-Legende. Kenne überhaupt keinen Song-Frosch, der so zum wunderschönen Prog-Prinzen geküsst worden ist. Also noch Fragen, Kienzle? Schon: Was soll das denn alles hier bitteschön?!? Nun, bei dem Konzert, um das es hier gehen soll, war ebenfalls “höchst originelle Anverwandlung” das Thema…

… fragt sich nur, in welcher Richtung. Denn sogar noch älter als unser kleiner Disput ist, was als Popolski-Phänomen in die Musikgeschichte eingegangen ist: Eine Band behauptet, alle diese wunderbaren Megahits vor langer Zeit komponiert zu haben, die ihnen später von den damit seither krasse Kasse machenden Künstlern, die jetzt im Radio gespielt werden, geklaut wurden. Jedoch: “Därrr wissen därrr wenixte!” Der Band des Abends ist es – angeblich – genauso ergangen: “Jazz Sabbath plays jazz renditions of Black Sabbath songs, claiming to be the original writers of those songs and accusing Black Sabbath of plagiarism.”

So, so… Als gesichert anzusehen jedoch ist folgende Anekdote: “The idea for Jazz Sabbath started in 2013 on a night off in Berlin during one of the Black Sabbath tours, when Adam and Sabbath’s security guard sat at the hotel bar early in the morning. The security guard asked if Adam could play the Sabbath set on the piano in the bar. Adam thought it would be fun to play the songs as jazz improvised versions and then played until the bar staff wanted to go home.” (Wikipedia)

Für dieses auf die Club-Bühnen der Welt gebrachte Seemannsgarn schlüpft Adam Wakeman, wie Oliver ein Sohn von Keyboard-Legende Rick Wakeman und sowohl Keyboarder wie Rhythmusgitarrist (!) für Ozzy Osbourne (außerdem: Annie Lennox, Travis, Company of Snakes, Strawbs, Martin Barre, Uriah Heep oder Deep Purple) u.a. vermittels einer stattlichen eisgrauen Perücke, einem historischen Gehstock und nicht zuletzt beachtlichen schauspielerischen Talents sowie gehörigem Schalk im Nacken in die Rolle von “Milton Keanes”. Und erzählte nun füglich die traurige Fama dieses wohl empörendsten Diebstahls von geistigem Eigentum, den die Welt (vor ChatGPT) je gesehen hat.

Binnen kurzem zeigte er sich überzeugt, dass das reichlich erschienene Publikum der Bonner Harmonie ihm die wüste Geschichte abgenommen hatte: “Now we’re friends”. Und fand sich daher geneigt, für uns die “Original”-Versionen zu Gehör zu bringen. Dies tat er aber nicht allein, sondern erfreulicherweise unterstützt von Dylan Howe am Jazz-Schlagzeug (ein weiterer nicht weit vom Stamm gefallener Apfel, wie Virgil Sohn von Steve Howe, bekannt u.a. von The Blockheads – vor und nach dem Tod deren Sängers Ian Dury). Und unterstützt seitens des zentral auf der Bühne positionierten Jack Tustin an einem wunderschön aussehenden und klingenden (selbstgebauten?) Kontrabass. Jacks eigene Musik (Broken Biscuit Company) legte uns “Milton” übrigens ebenfalls sehr ans Herz.

Als diese drei nun mit einer verjazzten Fassung der unheilverkündenden Eingangsakkorde von ‘Black Sabbath’ loslegten, schien sich eine Woge aus Humor und Spielfreude über den Raum zu ergießen, perlend wie Champagner (der Autor hatte Bayerisch Dunkel, nicht was ihr wieder denkt – daran kann dieser Eindruck wirklich nicht gelegen haben). Was zunächst verhalten begann, bekam alsbald unwiderstehlichen Swing, Drive und Tempo!

Doch auch das ließ sich noch steigern: Denn das federnde ‘The Wizard’ konfrontierte mit dem ersten von vielen köstlichen, stets zurecht mit Szenenapplaus bedachten Bass-Soli von Jack.
Tatsächlich sind diese “Ur”-Versionen so großartig bearbeitet, dass es selbst für einen Sabbath-Fan nicht immer ganz einfach ist, sie überhaupt wiederzuerkennen. Das lyrische ‘Behind The Wall Of Sleep’ kam jedenfalls in diesem ersten Teil auch vor. Der mit ‘Raw Pigs’ (Für ‘War Pigs’, LOL, mit der schaurigen Geschichte von einer Lebensmittelvergiftung eingeleitet) und schließlich dem zusätzlich mit ‘Eleanor Rigby’ verzierten ‘Iron Man’ abgeschlossen wurde.
Two Sets? “I’m 85, I need to wee”, wurden wir in die obwaltenden Sachzwänge eingeweiht.

Ein knappes halbes Stündchen später wurden wir gefragt, ob wir denn auf der Toilette erfolgreich gewesen seien (“Milton” wars, Congratulations). Und wurden davon überwältigt, welcher aberwitzige Drive ‘Fairies Wear Boots’ innewohnen kann. ‘Hole in the Sky’ groovte bis zum sprichwörtlichen Eintreffen des Notarztes. ‘Paranoid’ kam hier auf stolze neun Minuten. Und bei ‘Into the Void’ spielte Jack eine Walking-Bass-Figur, die eher den Namen Roadrunner-Bass verdient hätte. ‘Rat Salad’ schließlich bot Gelegenheit für ein feuriges Drumsolo.

Da man ja unter Freunden war, weihte “Milton” uns vorab sogar darin ein, dass “tonight’s last song” natürlich nicht der Allerletzte bleiben müsse, “if you clap”. Und so geschah es auch…

Die Zugabe ‘Children of the Grave’ wurde als “dieser Song” anmoderiert, der “auf zahllosen Hochzeiten und Geburtstagen” gespielt würde. Mit dieser neuerlichen balkenbiegenden Geschichtskorrektur und dem Beweis, dass Sabbath-Musik mehr Takt- und Tempiwechsel als Avant-Prog erfordern kann, wurde ein strahlendes bis kicherndes Publikum in die Frühlingsnacht entlassen.
PS: Wie so oft im Leben geht es hier wirklich nur um die ersten drei Alben (hat da jemand Metallica gesagt?). Auf z. B. ‘Technical Ecstacy’ (1976) erhebt “Milton” (bislang) keinerlei Anspruch. Schade eigentlich, es wäre voraussichtlich ein mindestens ebenso exquisites Vergnügen, die “Originale” der überwiegend vorzüglichen Songs mit Dio und Tony Martin zu erleben.
Be that as it may: If Jazz Sabbath comes to your town, heed the call!

Live-Fotos: Timo Riedel

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