(57:31; Boxset, Vinyl (2LP); CD, Tape, Digital; Roadrunner, 14.03.2025)
Mit ‘In Keeping Secrets Of Silent Earth: 3’ von ihrem gleichnamigen 2003er Zweitling und mit ‘Welcome Home’ vom 2005er Album “Good Apollo I’m Burning Star IV Volume One: From Fear Through The Eyes Of Madness” haben Coheed And Cambria Anfang des Jahrtausends zwei Hymnen für die Ewigkeit geschaffen. An die epische Strahlkraft dieser Tracks konnten die US-Amerikaner zwar nie wieder herangereichen, doch konnten sie mit ihren sechs folgenden Alben durchweg ein hohes bis sehr hohes musikalisches Niveau aufrechterhalten. So schafften es Claudio Sanchez und Konsorten mit ‘Shoulders’, der Lead-Single ihres 2022er Albums “Vaxis II: A Window Of The Waking Mind”, sogar erstmals in die Top-10 der Single-Charts.
Unzufriedenheit, die im Zusammenhang mit Coheed-And-Cambria-Veröffentlichungen aufkam, lag eher in der musikalischen Ausrichtung der Alben begründet als in songwriterischen oder musikalischen Defiziten. Die Grundzutaten ihres Sounds sind dabei über die Jahre unverändert geblieben: Progressive Metal, Post-Hardcore und Emo, in immer wieder unterschiedlichen Mischungsverhältnissen zusammengesetzt; verfeinert mit so unterschiedlichen Ingredienzen wie Classic Rock, Symphonic Rock, 80s Pop und Punk und manchmal sogar mit exotischen Gewürzen wie Reggae.
Spätestens mit dem Beginn des auf fünf Teile ausgelegten “Vaxis”-Handlungsstrangs innerhalb des “The Amory Wars”-Universums nahmen 80er-Jahre-Sounds und Pop-Melodien einen immer größer werdenden Raum im Sound Coheed And Cambrias ein. Eine Entwicklung, die auch vor “Vaxis III: The Father Of Make Believe” nicht haltgemacht hat, vor der man aber keine Angst haben sollte, da die oben erwähnten Grundelemente auch in die größten Pop-Melodien der Band miteingebunden wurden.
So hat “Vaxis III” als Gesamtwerk einen hohen Wiedererkennungs- und Unterhaltungswert, besticht durch einen dramaturgisch gut funktionierenden Flow und ist insgesamt eingängiger und zugänglicher als frühere Alben der Band, ohne dass dabei Abstriche in Sachen Komplexität und Tiefgang gemacht worden wären. Zwar sucht man auch auf dem mittlerweile elften Werk der Band vergebens nach einer Überhymne, doch dafür entschädigen Coheed And Cambria die Hörer mit einer enormen Anzahl an Ohrwürmern, die stilistisch ganz unterschiedlich geartet sind – bei denen man einerseits auf altbekannte Trademarks zurückgreift, andererseits aber auch vor Neuem nicht zurückschreckt.
Mit jedem Album versuche ich, das vorherige zu übertreffen oder zumindest etwas zu machen, das anders klingt und sich in irgendeiner Weise weiterentwickelt. Ich denke, dieser anfängliche Kampf hat zu dem Gefühl beigetragen, eine Art musikalische Midlife-Crisis zu haben… Dieser ständige innere Kampf auf der Suche nach kreativer Befreiung und Wachstum… Die Unsicherheit, ob es der richtige Weg ist. Das hat am Anfang mehr Mühe gekostet, aber am Ende denke ich, dass sich das Graben für den anschließenden Schub durchaus sehr gelohnt hat. – Claudio Sanchez
“Vaxis III: The Father Of Make Believe” beginnt mit dem atmosphärischen ‘Yesterday’s Lost’, bei dem sanfte Pianoklänge auf warme orchestrale Sounds und einfühlsamen Gesang treffen. Eine Ouvertüre, die jedem Konzeptalbum gut stehen würde und doch kaum auf das Hitfeuerwerk vorbereitet, das mit den nächsten Songs folgt.
Schon ‘Goodbye, Sunshine’ ist ein straighter Banger mit starker Oldschool-Attitüde, eingängigen Gute-Laune-Pop-Punk-Vibes und einem hymnenhaften Chorus, der auch von Blink-182 stammen könnte – allerdings ohne dass sich die Band musikalisch auf deren Niveau der Seichtigkeit herablassen würde.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Weniger Bubblegum-Flair weist da schon das anschließende ‘Searching for Tomorrow’, das ein wenig wie Rush meets Yes auf Metal-Steroiden rüberkommt. Ein weiteres Stück mit mächtigem Chorus und einem fetten Drop nach knapp zwei Minuten. Wer sich zudem das zum Song gehörende Musikvideo anschaut, der wird bei Minute 1:22 eine optische Referenz an den Chorus von ‘In Keeping Secrets Of Silent Earth: 3’ entdecken können.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Das Titelstück ‘The Father Of Make Believe’ wirkt nach diesen zwei Stücken schon fast entschleunigend. Trägheit oder gar Langweilig kommen dabei allerdings nicht, ganz im Gegenteil, denn der etwas behutsamere Songaufbau sorgt an dieser Stelle für Abwechslung und Dynamik und bereitet den Boden für das anschließende ‘Meri Of Mercy’, das mehr als alle anderen Stücke der Platte von Claudio Sanchez‘ Gesanglinien lebt und ein echter balladesker Ohrwurm ist. Es ist die notwendige Ruhe vor dem Sturm, denn mit der High-Energy-Thrash-Punk-Nummer ‘Blind Side Sonny’ hauen Coheed And Cambria einem fette Riffs um die Ohren und Claudio Sanchez schrammt mit seiner Stimme nur knapp am Screamo vorbei.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mit ‘Play The Poet’ schlägt die Band in eine ähnliche Kerbe, geht dabei aber so experimentell vor, wie niemals zuvor in ihrer Geschichte, denn Coheed And Cambria lassen hier Electro, Breakbeat-, Drum’n’Bass- und Metalcore-Eelemnte in ihren Sound einfließen. Gewagt, aber durchaus gelungen!
‘One Last Miracle’ stellt im Anschluss dann einen echten musikalischen Bruch dar, da man soundtechnisch aus der Moderne unmittelbar 40 Jahre in die Vergangenheit transportiert wird und mit einer leichtgewichtigen 80er-Jahre Pop-Nummer konfrontiert wird.
Noch ruhiger wird es im anschließenden ‘Corner My Confidence’, einer recht minimalistischen Akustik-Ballade, die wie ein extended Interlude wirkt, denn außer Gesang und Akustikgitarre gibt es hier kaum etwas zu hören.
Die Single ‘Someone Who Can’ wiederum ist ein echter Knaller, ein Stück, das stark vom Sound der 80er geprägt ist und seinerzeit durchaus das Potenzial zum Radiohit gehabt hätte. So erinnern dessen erste Sekunden an das Intro von ‘Everybody Wants To Rule The World’. Zwar weist das Stücke ansonsten keine echten Parallelen zu Tears For Fears auf, doch dafür kommt langsam ein unüberhörbares ‘The Boys Of Summer’+Feeling auf, das den Song bis zu seinem Ende begleitet.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Wiederum ganz andere, nämlich klassische Coheed-And-Cambria-Töne werden beim folgenden ‘Welcome To Forever, Mr Nobody’ angeschlagen. Es ist der erste Part des vierteiligen Longtracks ‘The Continuum’, bei dem sich Coheed And Cambria sehr abwechslungsreich präsentieren. Ein über 20-minütiges Monstrum mit teils proggig-vertrackten Arrangements, großen Melodien (‘The Flood’) eingängigen Gesangslinien (‘Tethered Together’) und einem bombastisch-schmachtvollen Outro mit Beatles-Vibes (‘So It Goes’). Leider fehlt es gerade dieser Nummer am gewissen Etwas, das frühere Longtracks der Bands schon beim ersten Hördurchgang so unwiderstehlich gemacht hat. Aber vielleicht liegt dies auch nur am Kontrast zu den übrigen, so eingängigen Stücken dieser Platte. Die Chancen, dass es sich bei ‘The Continuum’ tatsächlich um einen Slowburner handelt, stehen nicht schlecht, denn bislang hat das Lied mit jedem Durchlauf an Strahlkraft und Tiefgang gewinnen können.
Aber auch wenn sich hier nicht mehr viel tuen sollte, bleibt ‘The Continuum’ ein gelungener Longtrack, dessen Qualität ausreicht, dass “The Father Of Make Believe” als Album, zwischen “The Unheavenly Creatures” und “A Window Of The Waking Mind”, den ersten Rang unter den drei bisher veröffentlichten Teilen der “Vaxis”-Saga einnehmen kann.
Bewertung: 12/15 Punkten (FF 12, KR 12)
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Besetzung:
Claudio Sanchez (lead vocals, rhythm guitar)
Travis Stever (lead guitar, backing vocals)
Josh Eppard (drums & percussion, keyboards, backing vocals)
Zach Cooper (bass, backing vocals)
Diskografie (Studioalben):
“The Second Stage Turbine Blade” (2002)
“In Keeping Secrets Of Silent Earth: 3” (2003)
“Good Apollo I’m Burning Star IV, Volume One: From Fear Through The Eyes Of Madness” (2005)
“Good Apollo I’m Burning Star IV, Volume Two: No World For Tomorrow” (2007)
“Year Of The Black Rainbow” (2010)
“The Afterman: Ascension” (2012)
“The Afterman: Descension” (2013)
“The Color Before the Sun” (2015)
“Vaxis I: The Unheavenly Creatures” (2018)
“Vaxis II: A Window Of The Waking Mind” (2022)
“Vaxis III: The Father Of Make Believe” (2025)
Surftipps zu Coheed And Cambria:
Homepage
Facebook
Instagram
TikTok
Bandcamp
Soundcloud
Twitch
YouTube
Spotify
Apple Music
Discogs
Wikipedia
Rezensionen:
“Vaxis II: A Window of the Waking Mind” (2022)
“Vaxis I: The Unheavenly Creatures” (2018)
Liveberichte:
30.10.22, Köln, Carlswerk Victoria
14.06.17, Köln, Essigfabrik
26.01.16, Köln, Live Music Hall
Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Starkult Promotion zur Verfügung gestellt.