Wishbone Ash, 09.02.25, Bonn, Harmonie
Mit der Kraft der zwei (Lead-)Herzen – und der Kraft der Terz
Diese legendäre Londoner Rock-Formation tourt auch 2025 wieder fleißig. Nach der “Live Dates”-Tour 2024, bei dem das 50-jährige Jubiläum des gleichnamigen Albums gefeiert wurde, stellten “The Ash” die aktuelle Tour unter das Motto “The Wish List” – da die Fans selbst an der Setlist mitwirken konnten. Im Ergebnis erfüllte sich der Wunschtraum jeder erfolgreichen Band mit fünf Dekaden auf dem Buckel: Denn anscheinend wurden in der entsprechenden Erhebung auf Social Media tatsächlich mal nicht nur die Klassiker, sondern auch einige seltener gehörte Songs auf die Wunsch- bzw. Setlist gesetzt, darunter auch jüngeres Material… Careful what you wish for. Denn das resultierte in einem Konzert, bei dem sich in den authentischen Soundtrack Deiner Jugend auch mal ein oder zwei Achselzucker mischten. Doch ein reines “Greatest-Hits”-Programm wäre vermutlich schlicht langweilig für derartig beständig tourende Künstler (man raunt von durchschnittlich 30.000 Meilen pro Jahr). Und es wäre unfair gegenüber den jüngeren Bandmitgliedern.
Die Fahne des mit Argus-Augen wachenden Wächters hält seit der Gründung 1969 in London Andy Powell hoch (Flying V, ein SG-Nachbau war auch im Spiel). Sein Co an den Twin Lead Guitars ist seit 2017 Mark Abrahams (Gibson Les Paul). Bassist Bob Skeat ist immerhin schon seit 25 Jahren dabei. Drummer Mike Truscott hingegen spielt erst seit 2022 mit den Wünschelknochen.
“Der Prog-Faktor ist bei Wishbone Ash relativ niedrig. Alles in allem spielt man einen entspannten Classic Rock, mit gelegentlichem Hang zum Blues. Das Etikett “Progressive Rock” bekam man wohl in erster Linie wegen der Vorliebe für überlange Stücke”, urteilten wir 2019 – und das kommt immer noch hin. Umso mehr, als das “jüngere Material” – also was nach den Siebzigern kam – sich leider nicht eben in Richtung Komplexität entwickelt hat. Aber vermutlich lassen sich Meilensteine wie “Pilgrimage” (1971), “Argus” (1972) oder das Über-Live-Doppel-Album “Live Dates” (1973) ohnehin einfach nicht wiederholen. Das “Nektar”-Phänomen von zwei unter dem gleichen Namen um die Gunst der alten Fans buhlenden Formationen hat sich übrigens inzwischen erledigt, u.a. aufgrund gerichtlicher Entscheidungen. Klare Verhältnisse also.
Apropos “Soundtrack Deiner Jugend” – Dass bei derartigen Konzerten gerade in der Harmonie erfreulicherweise oft ein ausgesprochenes Seniorenpublikum aufläuft, kam in diesem Kino schon öfter zur Sprache. Wir sind selbst uralte Zausel, uns darf das auffallen. Der Altersdurchschnitt beim “The Ash”-Konzert aber war gefühlt rekordverdächtig hoch.
Außerdem hatten es sich auch noch mehrere deutlich eingeschränkte Mega-Fans (erkennbar u.a. an Rollstuhl und Betreuung) nicht nehmen lassen, ihre alten Helden noch einmal zu besuchen! Und noch ein “übrigens” – mehrere Konzerte hatten Wishbone Ash aufgrund einer Erkrankung ihres Frontmanns absagen müssen – Kehlkopfentzündung? Egal, die Stimme war jedenfalls weg. Und war jetzt wieder da.
Dennoch wurde sie vernünftigerweise etwas geschont: Erstens wurden in Bonn zumindest im Gegensatz zur dokumentierten Setlist vom 11. Januar mehr Instrumentals integriert. Und zweitens stützte der dauerlächelnde Kappenträger Bob den Leadgesang mit einer guten zweiten Stimme. Den ersten Gesang vernahm die Harmonie beim vergleichsweise zarten ‘(In All My Dreams) You Rescue Me’.
Allein schon das schrubbende Intro des mystisch-prophetischen ‘The King Will Come’ brachte die ordentlich gefüllte Harmonie ins Wippen. Und binnem kurzem tanzten selbst Anwesende, die ihre wohlmeinenden Betreuerinnen lieber weiter im Rollstuhl gesehen hätten! Die aktuelle Besetzung reproduziert den Gänsehaut-Sound von dunnemals makellos. Und plötzlich waren es wieder die Siebziger… Und blieben es beim nachgelegten ‘Warrior’ natürlich noch.
Randszene, buchstäblich am rechten Bühnenrand, die ich aufgrund von Dickfingrigkeit aber leider nicht im Bild einfangen konnte: Dort ist Harald gerade wie immer auf der Suche nach dem einen noch perfekteren Motiv aus dem noch idealeren Winkel. Allerdings steht einer der wie beschrieben tüchtig angereiften Fans direkt vor ihm, um den Song abzufilmen. Den ganzen Song… Unser Lichtbildkünstler geht damit um, indem er ultravorsichtig direkt über den Kopf des Filmenden hinweg visiert und fotografiert. Das dauert gefühlt Minuten und sieht aus einiger Entfernung aus wie eine Krönungsszene mit einem ganz leicht widerspenstigen zu Krönenden.
Nach diesen Höhepunkten kam verschiedenes dem Autor (mea culpa) unbekanntes Material, beim markerschütternden Bass-Intro von ‘FUBB’ waren wir aber wieder voll dabei. Näher als mit diesem majestätischen, in Terz-Parallelen schwelgenden Longtrack ist die Band “Progressive Rock” vermutlich nie gekommen – wollten sie vermutlich auch nicht. Ob die unsterbliche Humble-Pie-Version von Dr. Johns ‘Walk On Guilded Splinters’ wohl hiervon beeinflusst war? Ach nein, die war ja schon drei Jahre früher erschienen…
“We’ve got time for one more song” – und das war ‘Blowing Free’.
Diese Band reagierte im Gegensatz zu anderen löblichen Beispielen leider überhaupt nicht auf das charakteristische L-Format des Harmonie-Clubs. Heißt: es wurde ausschließlich nach vorne agiert. Bis auf einen Moment bei der ersten Zugabe. ‘Phoenix’ mit seinen extrem leisen “Violining”-Passagen animierte das Publikum an der Bar, wo sich u.a. die Veranstalter aufhielten, zu Erzählungen und lautem Gelächter. Ein strenger Blick von Andy sorgte aber schnell wieder für Ruhe.
Der Song erwies sich abermals als das ‘Free Bird’ von Wishbone Ash. Und zeigte, dass Mark zumindest bei furiosen Wah-Wah-Passagen seinem Boss Andy absolut ebenbürtig ist. Schön, dass er das zeigen durfte.
Apropos Boss: Andy Powells Gibson Flying V ist ebenso ein Markenzeichen der Band wie die Twin Leads und sein relativ hoher, sanfte Gesang. Inzwischen ist sie sogar buchstäblich ein Markenzeichen – Fans können den von Chris Tatalias vorgenommenen Nachbau von Andys (stark modifizierter) roter 1967er „V“ als Signature Modell erwerben, wenn das nötige Kleingeld vorhanden ist.
Eine letzte Zugabe entließ ein in Summe begeistertes Publikum in die knatterkalte Bonner Nacht. Wohl in den seltensten Fällen wie Phoenix aus der Asche, aber doch mehrheitlich dankbar beseelt.
Danke für die Live-Fotos: Harald Oppitz
Die Tour geht wie folgt weiter:
10.02. 🇩🇪 Aschaffenburg, Colos-Saal
11.02. 🇩🇪 Dortmund, Musiktheater Piano
12.02. 🇩🇪 Osnabrück, Rosenhof
13.02. 🇩🇪 Barmen, Live Club
15.02. 🇩🇪 Worpswede, Music Hall
16.02. 🇩🇪 Hamburg, Fabrik
Setlist (aus Karlsruhe, ähnlich wie Bonn, aber mit charakteristischen Umbauten):
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