Shortparis, 27.11.24, Frankfurt am Main, Das Bett

Russische Avantgarde zwischen Ekstase, Ästhetik und Opposition

Wer in den letzten Jahren auf Social Media den Organisatoren des Roadburn Festivals gefolgt ist, der könnte eventuell schon einmal über den Namen Shortparis gestolpert sein. Zwar ist die Post-Punk- und Pop-Noir-Band aus St. Petersburg bisher noch nicht auf dem Festival aufgetreten, wurde aber schon in deren “Essential Sounds”-Playlist gefeatured. Und auch Festival-Macher Walter Hoeijmakers hört man immer wieder über diese Formation sprechen und sich fragen, warum man eine russische Band nicht einladen solle, wenn sie doch Teil der Opposition sei und ihre Meinung zum Ukraine-Krieg sehr deutlich mache. Für ihn seien Shortparis die perfekte Band für das Roadburn.


Ich selbst war allerdings schon über Shortparis gestolpert, bevor ich die Band auf den Seiten des Roadburn entdeckt habe – nämlich durch meine russischstämmige Frau. Generell haben Inga und ich ja schon so einige Überschneidungen bei unserem Musikgeschmack, doch russische Bands waren davon bisher nie betroffen gewesen. Was wohl hauptsächlich daran liegt, dass diese russische Musik aufgrund ihrer stilistischen Heterogenität für mich überhaupt nicht fassbar und größtenteils musikalisch uninteressant war. Der Grund hierfür ist, dass bei vielen russischen Künstlern weniger die Musik als vielmehr die Texte der Lieder im Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens stehen.

Shortparis sind da eine Ausnahme. Und so machten wir uns gemeinsam auf den Weg nach Frankfurt am Main, wo das Quartett im Rahmen einer Europatournee im Das Bett Station machte.

Auffällig im gut gefüllten Club war, dass das Publikum rein optisch keiner bestimmten Musikszene zugeordnet werden konnte. Bandshirts oder Outfits aus der Post-Punk-Szene waren die Ausnahme. Eine Gemeinsamkeit hatten die Besucher des Konzerts aber trotzdem, denn Das Bett schien an diesem Abend so etwas wie der Treffpunkt der russischen Diaspora im Rhein-Main-Gebiet gewesen zu sein.



Als deutschsprachiger Muttersprachler war man im Club tatsächlich eine Ausnahme. Was auch kein großes Wunder war. Denn auf deutschsprachigen Seiten im Internet und in Social Media sind Shortparis quasi nicht existent. Eigentlich eine Schande, denn was die vier Künstler aus der Ostseemetropole musikalisch zu bieten haben, dürfte auch bei nicht russischstämmigen Fans von Post-Punk und Avantgarde auf offene Ohren stoßen – selbst wenn man, wie ich, keinen blassen Schimmer davon hat, wovon die Texte der Band eigentlich handeln.


Dass ich aber so rein gar nichts von den sozialkritischen Texten der Band verstand, war dabei schon irgendwie tragisch, denn das Spannende an Shortparis soll sein, dass sie ihre Sozial- und Systemkritik so gut verpackt formulieren, dass sie zu Hause dafür noch nicht belangt worden sind und trotzdem jeder weiß, worum es eigentlich geht.

Da die Musikvideos der Band teils von Gewaltdarstellungen geprägt sind und Shortparis, ähnlich wie Laibach, gerne mit totalitärer und militärischer Ästhetik spielen, war ich sehr auf das optische Auftreten der Russen gespannt – und wurde prompt ernüchtert, als vier junge Männer die Bühne betraten, die gut gekleidet und gestriegelt jede Menge 80er-Jahre-Charme versprühten. Passend waren diese Outfits – Blümchenhemden, Bundfaltenhosen und Kimonos – aber nichtsdestotrotz, da ja auch der Sound von Shortparis tief in den 80ern verwurzelt ist.

Dass dabei nicht nur Laibach, sondern auch die Düsseldorfer Elektro-Punker DAF zu den Einflüssen von Shortparis gehören, wurde überdeutlich, was vor allem an den vielen Samples und den teils elektronischen Drums und Percussion lag.




Überhaupt war die Percussion wohl der prägendste Aspekt im Klangbild von Shortparis – erst recht, als sich Danila Kholodkov seines Oberteils entledigte und sich fortan mit seinem nackten, von Tattoos übersäten Oberkörper regelrecht in Ekstase trommelte.

Mindestens genauso präsent war auch Frontmann Nikolai Komyagin, der nicht nur mit seinem ausdrucksstarken Gesang überzeugte, sondern teils einen regelrechten Ausdruckstanz performte.


Gitarrist und Bassist Alexander Ionin geriet so fast zum Nebendarsteller.

Genau wie der im hinteren Teil der Bühne kaum sichtbare Schlagzeuger Pavel Lesnikov.

Am schönsten war das Bühnentheater von Shortparis allerdings in seinen ruhigen Momenten, wenn sich Nikolai Komyagin hinter sein Piano setzte und die Drums und Electronica verstummten. Momente, in denen man nur noch seine Stimme und das Klavierspiel hören konnte.


Egal ob zart oder heavy – das Frankfurter Publikum zeigte sich von der Petersburger Band restlos begeistert und wollte es gar nicht wahrhaben, als nach nur einer hart gefeierten Zugabe schon Schluss war.



So suchte ich am Ende des Konzerts nach einem Merchandise-Stand, um eine Erinnerung an diesen Abend mit nach Hause zu nehmen. Erfolglos. Shortparis hatten weder Platten noch Klamotten mitgebracht. Da fragt man sich dann doch irgendwie, wie solch eine Band überhaupt überleben kann, die auf solch wichtige Zusatzeinnahmen verzichtet – eine Band, die nicht nur durch die Russische Föderation und Europa tourt, sondern auch in Ländern wie Israel, Australien, Indonesien und Thailand auftritt, und das fast ausschließlich vor russischsprachigem Publikum.

Shortparis Setlist Das Bett, Frankfurt, Germany, International Tour 2024


Fotos:Prog in Focus
Inga Fischer Photography


Shortparis, 27.11.24, Frankfurt am Main, Das Bett
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