(66:12, CD, digital, Universal Music Group, 15.11.2024)
Grobschnitts Meisterwerk “Solar Music” ist immer wieder ein faszinierendes Live-Erlebnis gewesen, egal in welcher Phase der Historie dieser Band man dies live erleben durfte. Das sagt einer, der zur Kernzeit der Band in den 70ern und 80ern in Hagen lebte, der Heimatstadt von Grobschnitt. Der erste Kontakt geht weit zurück bis in die Schulzeit, denn die Band probte und spielte oft in der Aula des THG und so war es dem Rezensenten möglich, schon zur “Ballermann”-Zeit diesen Song zu genießen. Wer die Geschichte von Grobschnitt auch nur halbwegs verfolgt hat, weiß natürlich, wie viele Reinkarnationen dieser Titel erlebte. Immer wieder wurde der Song abgewandelt, erweitert, runderneuert bis zum ‘Sonnentanz’. Und immer – typisch für Grobschnitt und über all die Jahre ein Markenzeichen der Band – war sehr viel auf der Bühne los. Pyrotechnik und Kalauer-Einlagen gehörten stets dazu. Und wer nicht mit der Gnade der frühen Geburt gesegnet ist und den Namen Grobschnitt erst in den 2000ern kennengelernt hat, wird zwar die Qualität der Musik auf Vinyl oder CD erkennen können, doch das visuelle Erlebnis kann leider nicht nachgeholt werden. Und das war atemberaubend (Das war es, Amen. Grobschnitt, 85, Bergneustadt, Burstenhalle (Support: Wallenstein…). Eines der schönsten, wichtigsten und prägendsten Konzerte, die meinereiner je erlebt hat. Ohne dieses Konzerterlebnis gäbe es BetreutesProggen nicht, KR).
Im Laufe der Jahre hat es diverse Besetzungswechsel bei Grobschnitt gegeben, die hier zu hörende Formation darf man getrost als Grobschnitt in Bestform und zu ihrer bemerkenswertesten Schaffensphase zählen, das heißt mit den leider längst verstorbenen Volker Kahrs alias Mist an den Keyboards und Wolfgang “Hunter” Jäger alias Popo, Gitarrist Gerd Otto Kühn alias Lupo (der Hexer von Altenhagen), Stefan Danielak alias Willi Wildschwein (Gesang und Gitarre) und Joachim Ehrig alias Eroc als Schlagzeuger.
Jeder Grobschnitt-Konzertgänger wusste genau, dass man viel Zeit mitbringen musste, da sie immer volles Programm boten und das konnte auch mal drei Stunden bedeuten (was waren das noch für Zeiten, als man für 5 DM Eintritt drei Stunden beste Live-Musik genießen konnte). Und was es heißt, wenn angekündigt wird, dass jetzt das Lied gespielt wird, “das sie immer spielen” … ‘Solar Music’ eben. Und da sie gerne improvisierten, konnte man nicht wirklich vorher wissen, wie lange es diesmal dauern würde. Zwischen 30 und 60 Minuten war eigentlich alles möglich.
Es geht erst mal mit einer kleinen Verzögerung los – Grund: Stein im Schuh. Kann passieren. Und dann startet die Reise, es ist zwar ein durchgehender Song, der standesgemäß mit ‘Solar Music Pt. 1’ beginnt. Doch bei den vorliegenden acht Tracks wird nicht einfach nur durchnummeriert. So heißt Abschnitt 2 beispielsweise ‘Food Sicore’ und das ist mal wieder typischer Grobschnitt-Humor – Eroc ist nämlich gar nicht doof! Es folgt ‘Solar Music Pt. 2’ mit dem legendären
“Do You Hear Solar Music?
Abschnitt 4 macht klar, wo das aufgenommene Konzert stattgefunden hat, denn es heißt ‘Mülheim Special’, ein langes Instrumental, bei dem phasenweise Schlagzeug, pumpender Bass und die majestätischen Keyboards schon einen Vorgeschmack auf das geben, was im phänomenalen ‘Golden Mist’ geboten wird. Doch auch Lupo spielt groß auf und bringt seine Gitarre zum Singen, worauf ein plötzlicher Bruch folgt mit einer Einspielung von Band und (da in der Zwischenzeit auf der Bühne ausgesprochen viel Nebel erzeugt worden war) eine Durchsage, die der Grobschnitt-Fan auch heute noch auswendig aufsagen kann:
“Wir möchten es nicht versäumen, Sie darauf hinzuweisen, dass der künstliche Nebel, den Sie bereits seit zehn Minuten einatmen, eine äußerst giftige Substanz darstellt und bereits nach wenigen Augenblicken zu Bewusstlosigkeit und zum Tode führen kann. Wir bedanken uns für das Vertrauen, das Sie uns entgegengebracht haben.”
Es folgt ‘Otto Pankrock’, auch hier soliert hauptsächlich Lupo an der E-Gitarre, die Rhythmustruppe steuert überragende Arbeit bei und schließlich übernimmt auch mal Mist an dem Synthesizer das Kommando. Das nachfolgende zehnminütige ‘Golden Mist’ ist der persönliche Favorit des Schreiberlings, denn hier hat – wen wundert’s bei dem Titel – Tastenmann Volker Kahrs alias “Mist” das Sagen und zeigt, dass er zu den ganz Großen seiner Zeit zählte. Zunächst wird das E-Piano eingesetzt, alles ausgesprochen einfallsreich von Eroc (und anfangs auch Hunter) begleitet. Als dann die Orgel eingesetzt wird und danach eine Mellotron-Breitseite folgt, kommt Gänsehautstimmung auf. Ein ungemein intensives, abwechslungsreiches Solo (bzw. Duo) und zu keiner Sekunde langweilig. Damit biegt man dann auch langsam, aber sicher auf die Zielkurve ein. Es geht noch mal ordentlich die Post ab, bis es dann plötzlich sehr leise wird und die wunderbare Melodie, die auch schon auf dem “Ballermann” Album das Lied beendet, für das furiose Finale sorgt. Feine Keyboardtöne und eine herzzerreißende Gitarre – ein perfekter Ausklang eines Kultliedes.
Das 13-minütige ‘Tschüss Mülheim’ wurde noch angehängt – passend zum gesamten Album ein langes Instrumental mit viel Improvisationen und der Vorstellung der Band und weiteren Beteiligten wie Toni Moff Mollo an der Lichtanlage oder Geheimrat Günstig – der einzige Gastarbeiter bei Grobschnitt, da aus Wien – am Mischpult und mit einer obligatorischen Bläsereinlage.
Auf der Bühne passierte immer ausgesprochen viel, und somit war die Road Crew ein wesentlicher Bestandteil der Show – ob jetzt Einlagen wie der Kampf mit den Laserschwertern, der Fackel-Wikinger, die stets präsentierte Pyro-Show, das alles kann man hier jetzt natürlich nur erahnen. Aber auch die Musik spricht für sich – ein Meisterwerk der 70er Rock Szene!
Es gibt ausgesprochen viel nachzulesen im tollen Booklet, natürlich mit dem typischen Grobschnitt-Humor versehen und mit allerlei Anekdoten. So zum Beispiel, dass ein stadtbekannter junger Musiker sich mit seiner Gitarre unter dem Arm und der Behauptung, er gehöre zur Band, ins Konzert reinschleichen wollte. Sein Name: Helge Schneider.
GROBSCHNITT – ein Kult-Band aus Hagen.
SOLAR MUSIC – der Kult-Song einer Kult-Band aus Hagen.
SOLAR MUSIC LIVE – die Kult-Livepräsentation eines Kult-Songs einer Kult-Band aus Hagen.
Natürlich hatte man sich gefragt, ob nach den in der Zwischenzeit neu aufgelegten und überarbeiteten Fassungen der üppigen Grobschnitt-Diskographie nochmals die Hand an “Solar Music Live” angelegt werden sollte. Die Antwort war: JA. Recht so! Ein Re-Mix in Stereo – 5.1 Surround Mix und Dolby Atmos, wobei Letzteres dem Ganzen die Krone aufsetzt.
Das Album ist in folgenden Formaten erhältlich:
Als limitierte Einzel-CD im Digibook mit 24-seitigem Booklet, als Doppel-LP in durchsichtigem und orangen Vinyl, sowie als Rundum-Wohlfühl-Paket die Box mit 2LP+CD+BluRay Audio+signierte ArtCard.
Ist eigentlich schon gesagt worden, dass dies ein KULT-Album ist? Zugreifen!
Bewertung: 14/15 Punkten
Besetzung:
Lupo – guitars
Eroc – drums
Popo – bass guitar
Mist – keyboards
Willi Wildschwein – guitar / vocals
Surftipps zu Grobschnitt:
Homepage
Facebook
Last.FM
Wikipedia
Abbildungen: Grobschnitt
PS: Noch ein Hinweis auf anstehende Konzerte der Akustik-Tour:
Grobschnitt Acoustic Tourdaten 2025
22.02.25: Hannover, Kulturzentrum Pavillon
01.03.25: Soest, Kulturhaus Alter Schlachthof
08.03.25: Herborn, Kulturscheune
15.03.25: Hamburg, Markthalle
22.03.25: Wuppertal, Live Club Barmen
29.03.25: Gelsenkirchen, Heilig-Kreuz-Kirche
05.04.25: Fulda, Kreuzsaal
12.04.25: Gummersbach, Halle 32
26.04.25: Kaiserslautern, Kammgarn
10.05.25: Bensheim, Musiktheater Rex
17.05.25: Tübingen, Sudhaus